Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)
in einer Explosion aus Farben. Vor dem allgegenwärtigen grünen Hintergrund tanzten bunte Schmetterlinge, rankten sich weiße und rosafarbene Orchideen, krochen borstige rote Raupen über Blätter. Eine riesige Stabheuschrecke, die aussah, als wäre sie aus mehreren dürren Zweigen zusammengesetzt, kletterte bedächtig einen Baumstamm hinauf. Hoch über ihrem Kopf, im dichtbelaubten Baumkronendach, konnte sie ein paar Papageien krächzen und plappern hören. Weiter unten, näher bei sich, sah sie zwei schneeweiße Kakadus miteinander schnäbeln. Beim Anblick der Vögel überkam sie plötzlich heftige Sehnsucht nach Simbang. Nach dem frechen Koki, nach Bruder Lorenz und den anderen beiden Missionsbrüdern, nach Conrads Hütte, nach Yerema und Kamelun und den Jabim-Kindern.
Und nach Noah.
In den wenigen Minuten, die sie geschlafen hatte, hatte sie von ihm geträumt. Fiebrige Träume, in denen er sie streichelte und an sich drückte. Es hatte sich so gut angefühlt.
Für einen Moment glaubte sie, seine Stimme zu hören, die sie drängte, aufzubrechen und ihm zu helfen. Rettung zu holen.
Sie hob den Kopf. »Ja«, flüsterte sie, wie eine Antwort an das wogende Grün gerichtet, und strich sich die Tränen aus dem Gesicht. »Ich lasse dich nicht im Stich.«
Sie rutschte vom Baum und machte sich erneut auf den Weg.
Der Waldboden war mit riesigen Farnen und dichtem Unterholz überwuchert. Die Sonne hatte auch die letzten Morgennebel vertrieben, unter dem Blätterwerk war es heiß und stickig.
Isabel wich wieder ins niedrige Wasser aus. Sie kam sich vor, als wäre sie der einzige Mensch auf der Welt, verloren in einem Nirgendwo, weit weg von jedem anderen menschlichen Wesen. Sie zwang sich, an nichts weiter zu denken als an den nächsten Schritt. Nicht an die brennenden Schnittwunden, mit denen ihre nackten Füße und Knöchel übersät waren, oder die vielen juckenden Mückenstiche auf der bloßen Haut ihrer Arme und Beine. Nicht daran, was passieren würde, wenn sie hier einen erneuten Malariaschub erleiden würde. Nicht daran, ob Noah noch lebte. Er war nicht tot. Natürlich nicht. Aber er brauchte ihre Hilfe.
Das ständige feine Sirren der Moskitos nahm sie kaum noch wahr, auch wenn sie immer wieder nach den kleinen Blutsaugern schlug, die sich auf ihre Arme, ihren Hals und ihr Gesicht setzten. In ihrem Haar, das aufgelöst über Rücken und Schultern hing, hatten sich Blätter und kleine Zweige verfangen. Obwohl sie seit gestern Mittag nichts mehr gegessen hatte, verspürte sie keinen Hunger. Nur Durst, und der ließ sich mit Lianenwasser stillen. Wenigstens war ihre Periode vorüber, so dass sie sich nicht auch noch darüber Gedanken machen musste.
Einmal sah sie ein Kanu den Fluss hinuntergleiten. Aufrecht darin stand ein Mann, ein Eingeborener, der das Boot mit einem langen Paddel steuerte. Isabel hatte sich gerade noch im Ufergebüsch verstecken können und spähte nun angstvoll durch die Blätter. Ob das einer von den Donowai war? Vermutlich nicht, dafür hatte sie sich schon zu weit von deren Dorf entfernt. Dennoch wagte sie sich nicht aus ihrer Deckung.
Am Spätnachmittag sprühte Regen durch die schwere Luft, und schon bald war Isabel in ihrem ärmellosen Leibchen und dem Bastrock bis auf die Knochen durchnässt. Und noch immer war keine Forschergruppe in Sicht.
Wenn Noah nur die Wahrheit gesagt hatte!
Wenn sie die Männer doch nur endlich finden würde!
Erneut brach die Nacht herein, hallte die Luft wider von Grillengezirpe und den Lauten fremdartiger Tiere. Mondlicht spiegelte sich im Wasser, ein funkelndes Sternenband spannte sich über den Himmel. Obwohl Isabels schwaches Bein und die Schnitte und Schrammen an ihren nackten Füßen immer stärker schmerzten und die Erschöpfung sie allmählich taumeln ließ, lief sie weiter, immer weiter durch das flache Uferwasser.
Der Fluss verbreiterte sich, am Ufer lag ein schmaler, langgestreckter Schatten. In der Dunkelheit glaubte Isabel zuerst voller Schreck, ein Krokodil vor sich zu haben, aber dann erkannte sie die Umrisse eines hölzernen Kanus ohne Ausleger. Und daneben noch weitere.
Sie hörte Stimmen, Lachen, und dann glaubte sie sogar ein paar deutsche Worte aufzuschnappen.
Sicher halluzinierte sie bereits. Das Helle, das da weiter hinten am Strand flackerte, war bestimmt kein Lagerfeuer. Und was sich dahinter erhob, waren gewiss auch keine Zelte.
Sie brauchte etliche Sekunden, um ganz zu sich zu kommen. Erst als ihre Hand das warme Holz eines
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