Im Herzen der Koralleninsel: Ein Südseeroman (German Edition)
seinem Vorhaben behindern würde, und behielt selbst nur das Buschmesser.
Die Brücke schwankte stark bei jedem seiner schnellen Schritte. An ihrem Ende ragte rechts eine hohe Steilwand auf. Auf der linken Seite begann der Dschungelpfad, den sie vor einer knappen Woche gekommen waren. Inzwischen war er kaum mehr auszumachen in all dem nachgewachsenen Gestrüpp.
Mit dem Buschmesser hieb Noah sich ein paar Meter durch das Dickicht, bis es auf den ersten Blick so wirken musste, als wären sie hier entlang geflüchtet. Lange konnte es nicht mehr dauern, bis die Donowai ihr Entkommen bemerken würden.
Die Brücke war mit starken Lianen an einigen Baumstämmen befestigt. Darunter ging es einen steilen Abhang bergab zum Fluss, dicht bewachsen mit Farnen und Gestrüpp. Entschlossen begann er, mit dem Buschmesser die Halteseile der Brücke durchzuhauen, eines nach dem anderen. Es knarrte, ächzte, als die zusammengebundenen und -geflochtenen Ranken sich lösten, die Brücke drehte sich, hing schief, bis sie nur noch von einer einzigen, straff gespannten Liane gehalten wurde. Mit seinem letzten, kraftvollen Hieb riss auch diese letzte Ranke, die Brücke stürzte in die Tiefe. Der untere Teil klatschte in den Fluss, Wasser spritzte hoch auf, der obere Teil schlug mit lautem Getöse an der anderen Seite der schmalen Schlucht auf. Ein Schwarm Vögel stieg kreischend auf. Der Lärm war sicher bis ins Dorf zu hören. Jetzt würde es so aussehen, als wären sie über die Brücke entkommen und hätten den Weg für ihre Verfolger hinter sich abgeschnitten.
Nur fort jetzt! Er kletterte und rutschte den steilen Abhang hinunter, schürfte sich Hände, Knie und Ellbogen auf, rollte über Gestrüpp und Farne, bis er hart auf einer vorstehenden Klippe aufkam und die letzten Meter hinunter bis zum Flussufer sprang. Ein kurzer Blick nach oben zeigte ihm, dass sein Weg nicht ohne Spuren geblieben war: Sträucher waren umgeknickt und herausgerissen, Sand und Steine freigelegt. Aber das war nun einmal nicht zu ändern. Er konnte nur hoffen, dass seine Täuschung trotzdem Erfolg hatte.
Auf der anderen Seite des Flusses war Isabel stehen geblieben, seinen Bogen in der Hand. Zwischen ihnen rauschte das Wasser. Er deutete nach stromaufwärts, und sie hob den Bogen zum Zeichen, dass sie verstanden hatte, und eilte weiter auf dem schmalen Uferpfad.
Auf seiner Seite war kein Pfad. Dennoch zog er sich zurück in den Schutz der Bäume und Büsche, um nicht zu riskieren, zur Zielscheibe für die Donowai zu werden. Erst nachdem der Fluss eine Biegung machte, wechselte er über ein paar große, im Wasser liegende Steine auf Isabels Seite.
Der Mittag musste längst vorüber sein, unter dem dichten dunkelgrünen Blätterdach stand die Luft. Sie sprachen kaum, liefen nur immer weiter vorwärts, folgten dem Pfad am Wasser, Noah vorneweg, Isabel in ihrem zerrissenen Oberteil und dem Bastrock dicht hinter ihm. Sie hielt sich gut. Obwohl auch sie nun barfuß war und sicher unter der Anstrengung und der schwülen Hitze litt, beschwerte sie sich nicht. Sie bewegten sich so schnell sie konnten, aber es war ein mühsames Vorankommen. Der Pfad schien nicht oft benutzt zu werden; viele Stellen waren fast zugewuchert, und Noah brauchte jedes Mal wertvolle Sekunden, um den Weg mit dem Buschmesser freizuhauen. Mit dem großen Bogen, den er samt den Pfeilen wieder an sich genommen hatte, schob er zusätzlich die lästigsten Ranken zur Seite.
Hatten sie es geschafft? Hatten sie die Donowai tatsächlich getäuscht?
Ein Schwarm bunter Papageien stob auf, flog zeternd davon, dann war es still. Für einen kurzen Moment blieb er stehen, horchte angestrengt. War da nicht ein Geräusch? Seine Glieder schienen plötzlich zu Eis zu gefrieren: Sein Ablenkungsversuch hatte die Donowai offenbar nur kurz aufgehalten.
Auch Isabel hatte das Kriegsgeheul gehört. Sie verdoppelten ihre Anstrengung, sich vorwärtszukämpfen. Der Pfad wurde wieder breiter und leichter begehbar, dann tat sich ein fast kreisförmiger, gerodeter Platz vor ihnen auf, womöglich eine Kultstätte. Auf der anderen Seite ging der Pfad weiter.
Ein hohes Sirren ertönte, Noah duckte sich reflexartig und zog Isabel mit sich herunter. Sie keuchte entsetzt auf, als ein langer Pfeil ganz in ihrer Nähe in einen Baumstamm fuhr und dort mit zitterndem Schaft hängenblieb.
»Sie kommen«, flüsterte Isabel, kalkweiß im Gesicht. »Sie sind schon ganz nah!«
Sein Herz jagte in einem stolpernden, atemlosen Takt. Sie
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