Im Herzen der Wildnis - Roman
kehrte Charlton in die Bibliothek zurück. Sissy blickte ihm entgegen.
Er setzte sich und faltete die Hände. »Und?«
Sissy nickte verträumt. »Er gefällt mir.«
»Besser als Lance Burnette?«
»Viel besser. Er ist attraktiv, interessant und sehr nett. Ich mag seine offene und unverstellte Art. Tom hat nichts versprochen, was Rob nicht halten kann.«
»Dann bist du mir nicht mehr böse, dass ich Lance abgesagt habe?«
»Nein, Grandpa, das bin ich nicht«, sagte sie mit warmer Stimme.
»Ich will nur das Beste für dich.«
Sie seufzte. »Ich weiß.«
»Die Einladung zum Dinner war eine gute Idee. Sie klang spontan und aufrichtig. Aber unterschätze ihn nicht, Sissy. Er ist gerissen. Er weiß, was er will.«
»Das weiß ich auch.«
»Du willst ihn.«
Sie nickte.
»Und er?«
Sissy lächelte verschmitzt. »Er wird nicht wegen des Essens zurückkommen …«
Shannon zügelte Chevalier auf dem schmalen Waldweg und ließ Rob, der Princesse ritt, zu sich aufschließen. Sie waren so dicht beieinander, dass sich ihre Knie berührten. »Es ist nicht mehr weit. Nur noch zwei Meilen.«
»Der Ritt gefällt mir«, sagte er.
»Besser als die Dinnerparty?«
Er verdrehte die Augen, und sie lachte ausgelassen. Ihre Hand berührte dabei wie zufällig sein Knie. Es war eine sehr sinnliche Geste voller Vertrauen und … ja was? … Freundschaft? Zuneigung?
Nach dem Gespräch mit Caitlin hatte er Shannon kennengelernt. Ihr helles Lachen war das Erste, das er von ihr wahrnahm, als er mit Caitlin und Tom den Speisesaal betrat. Sie stand vor den offenen Fenstertüren zur Terrasse, und das glühende Abendlicht umschmeichelte sie. Sie kam mit einer Würde und Anmut auf ihn zu, die ihn sofort in ihren Bann schlug. Er erinnerte sich, was sein Vater ihm zuvor über sie erzählt hatte. Tom war geradezu in sie verliebt, in ihren Mut, ihren Eigensinn und ihre Abenteuerlust. Sie sei ein freier Mensch, sagte er, was nur sehr wenige von sich behaupten könnten.
Er hatte Shannon angesehen, und Herz und Verstand riefen: Das ist sie! Na los, Rob, schnapp sie dir, bevor es jemand anderer tut! Ein anderes, zuweilen recht eigensinniges Körperteil hatte jedoch nur wenige Stunden zuvor begehrlich und ungestüm in eine andere Richtung gedeutet.
Ganz unbefangen küsste Shannon ihn auf beide Wangen. »Hallo, Fremder!«
Was für eine Begrüßung! »Hallo, Shannon. Wie schön, dich endlich kennenzulernen!«
Tom ergriff ihre Hände und zog sie zu sich heran. »Kommt mal her, ihr zwei! Ich kann gar nicht sagen, wie viel mir dieser Augenblick bedeutet! Rob … Shannon … Ich hoffe, dass eure Beziehung, was auch immer ihr daraus macht, ein Leben lang halten wird!«
Während des festlichen Abendessens beugte Shannon sich zu ihm herüber und flüsterte: »Soll ich dich deinem Schicksal überlassen? Oder soll ich dich retten?«
»Geht’s hier immer so formell zu?«
»Ich bitte dich! Sie geben sich alle Mühe, sich heute Abend von ihrer besten Seite zu zeigen. Aber ich warne dich: Bei Whiskey und Zigarren wird’s nicht gemütlicher.«
»Egal, was du vorhast, rette mich!«
Sie lachte, und ihre Augen funkelten dabei. »Drei Tage und drei Nächte mit mir allein in der Wildnis. Wir haben viel Zeit, uns in Ruhe kennenzulernen. Nur wir beide. Wie wär’s?«
»Wann brechen wir auf?«
»Nach dem Essen. Die Satteltaschen sind gepackt, die Pferde warten in Sausalito auf uns. Von dort ist es nicht mehr weit.«
»Du bist fantastisch!« Er beugte sich zu ihr hinüber und küsste sie auf die Wange, und er wusste nicht, wessen Augen heller gestrahlt hatten: ihre oder Toms, der den Kuss mit einem zufriedenen Lächeln beobachtete.
Die Abenddämmerung war nur noch ein schwaches Glühen, als Shannon an einer Bergflanke entlangtrabte. Auf einer Anhöhe zügelte sie ihren Hengst und wartete auf ihn. Sie berührte sein Knie und deutete auf das Tal vor ihnen. »Siehst du? Dort unten beginnt der Sequoiawald. Heute Nacht werden wir dort schlafen. Morgen suchen wir die Bären. Und übermorgen steigen wir auf den Berg da drüben. Vom Gipfel kann man San Francisco sehen. Mit Tom konnte ich leider nicht hinaufreiten.«
»Er hat mir erzählt, wie sehr es ihm hier gefallen hat. Das Reiten hat ihm all die Jahre sehr gefehlt. Du hast ihm ein bisschen Lebensfreude zurückgegeben.« Rob sah sie von der Seite an. »Du stehst ihm sehr nah.«
Sie erwiderte seinen Blick. »Er mir auch. In den letzten fünf Monaten hatte ich ihn ganz für mich allein.« Sie seufzte. »Rob,
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