Im Herzen der Wildnis - Roman
seinen wachen Augenblicken hatte er Shannon an seinem Krankenbett nicht erkannt. Alistair, der nicht von ihrer Seite gewichen war, war beunruhigt gewesen. Immer wieder hatte er sich mit den behandelnden Ärzten besprochen. Sein Gesicht war ernst gewesen, als er danach zu ihr ins Krankenzimmer zurückgekehrt war. »Shannon, es sieht nicht gut aus. Rob hat überlebt, aber …«
Über dieses Aber wollte Shannon nicht nachdenken, sie wollte dagegen ankämpfen. Sie wollte Robs zärtliche Berührungen spüren, seine Stimme hören, sein Lächeln sehen. Schon im Krankenhaus hatte sie begonnen, mit ihm zu arbeiten. Sie hatte seine Hand gehalten und sie ermunternd gedrückt – nicht die rechte, sondern die linke, die gelähmte. Er sollte sie spüren. Sie war enttäuscht gewesen, denn er hatte nicht darauf reagiert. Sein hübsches Gesicht, das immer mit einem charmanten Lächeln gestrahlt hatte, war verzogen, und Speichel war ihm über die Lippen getrieft. Mit zweiunddreißig war Rob über Nacht zu einem alten Mann geworden.
Als er nach Hause gekommen war, hatte sie ihn in den Garten geschoben, damit er die Brise vom Meer genießen konnte. Stundenlang hatte sie bei ihm gesessen und gearbeitet – Evander war in Australien und Neuseeland, und sie musste sich allein um Conroy Enterprises kümmern. Sie hatte mit Rob geredet und sich dabei nicht anmerken lassen, wie schlimm es für sie war, dass er ihr nicht antworten konnte. Hatte er sie überhaupt verstanden? Sie hatte nicht aufgegeben. Mit ihm gemeinsam hatte sie Fotos aus glücklicheren Zeiten betrachtet. Robs unmerkliches Lächeln hatte ihr Hoffnung gegeben und sie auf die Idee gebracht, ihre Wünsche, Hoffnungen und Sehnsüchte in den Eukalyptusbaum zu hängen. Sie hatte Liebesbriefe geschrieben, kleine Geschenke verpackt und Fotos in die Glaskugeln gesteckt, die seit jenem romantischen Abend in den Zweigen hingen, als er sie gefragt hatte, ob sie den Rest ihres Lebens mit ihm verbringen wollte. Sie hatte sich gewünscht, dass es Rob eines Tages wieder so gut ginge, dass sie die Kugeln gemeinsam öffnen konnten.
Shannon atmete tief durch. Sie rollte das Foto ein, schob es in die zweite Glaskugel und schraubte sie zu. Nach einem Blick aufs Meer kehrte sie zurück in den Garten. Dort hängte sie die beiden Wunschkugeln in den Eukalyptusbaum. Dann ging sie zum Haus. Als sie das Foyer betrat, lauschte sie auf ein gedämpftes Schluchzen, aber alles war still. In der ersten Nacht hatte Rob geweint. Sie hatte sich zu ihm auf das Bett gesetzt und ihn getröstet. Obwohl sie seine Hand gehalten hatte, hatte er ihren Blick nicht erwidert.
Sie hatte mit ihm geredet und ihm von ihren gemeinsamen Abenteuern erzählt, sie hatte ihm vorgelesen, sie hatte ihn zärtlich berührt, und sie hatte zusammen mit ihm kleine Geschenke ausgepackt, die sie vom Eukalyptusbaum geholt hatte. Rob hatte lernen müssen, sich zu bewegen und sich zu freuen, zu lachen und irgendwann auch wieder zu reden. Nach und nach hatte er seine Angst vergessen, als sie ihm die kleinen Liebesbriefe aus den Glaskugeln vorgelesen hatte. Die gemeinsamen Erinnerungen, die an den Fotos hingen, hatten sie wieder zusammengebracht. Und die kleinen Geschenke hatten ihm dabei geholfen, das Sprechen wieder zu erlernen.
Sie hatte sich keine Illusionen gemacht. Es würde schwer werden, für ihn wie auch für sie. Aber sie hatte nicht aufgegeben. Sein Lachen, als Ronan auf ihm herumkletterte, um mit ihm zu spielen, hatte sie ermutigt. Die Butler hatten nicht mit ihm gesprochen. Und leider hatten sich auch die wenigen Gäste, die sie zum Dinner empfangen hatten, nicht anders verhalten. Einige hatten so getan, als wäre er gar nicht anwesend. Sein Nuscheln und seine Schwäche waren für sie offenbar zu peinlich gewesen. Das war für Rob so belastend gewesen wie für Shannon. Sie blieben allein mit ihren Problemen. Außer Charlton, der Shannon hin und wieder aufrichtete, und Sissy, die sich liebevoll um Rob kümmerte, hatten sie schließlich keine Besucher mehr empfangen.
Shannons Verhältnis zu Sissy hatte sich in den letzten Tagen seit dem Schlaganfall geändert. Sie sah, wie sehr Sissy litt. Sie bemerkte, dass sie mit ihr reden wollte, aber jedes Mal zögerte Sissy, sich ihr anzuvertrauen. Sie ahnte, warum es ihr so schwerfiel: Sissy war schwanger. Von Rob.
Die Arbeit mit ihm beanspruchte mehrere Stunden am Tag. Die verloren gegangenen Fähigkeiten mussten zurückgewonnen werden. Shannon schob ihn in den Garten oder saß mit ihm
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