Im Herzen des Kometen
auf und sah Akio Matsudo in der Türöffnung zu seinem Behandlungszimmer stehen und ihm zuwinken.
Keoki Anuenue nickte lächelnd. »Gehen Sie nur, Doktor. Ich werde die Freiwilligen finden und Ihnen Bescheid geben, bevor die Versuche beginnen.«
»Sehr gut.« Die Furcht vor dem, was früher oder später kommen mußte, verbarg Saul tief in seinem Herzen. Irgendwann würde seine unglaubliche Glückssträhne ein Ende haben. Einer von seinen maßgeschneiderten Symbionten würde seinen Wirt töten, statt ihn zu retten. Und dann, ganz gleich, wieviel Gutes er vorher getan hatte, würden sie sich gegen ihn wenden. Alle miteinander.
Wie sie sich gegen Simon Percell gewendet hatten.
Als der Mob vor so langer Zeit und so weit entfernt ein Institut auf einem Hügel niedergebrannt hatte…
»Komme schon«, rief er Matsudo zu.
Die schneebedeckten Hänge des Asahidake waren so symmetrisch wie die Fichten, die seine unteren Flanken umhüllten. Wolken schwebten wie Boote aus Reispapier auf einer unsichtbaren Schicht, die entweder aus Luft oder Magie bestand, einer untergehenden Sonne und einem dunkelblauen Meereshorizont entgegen.
Saul betrachtete mit Vorliebe Akio Matsudos Bildwand, die vielleicht schönste der ganzen Kolonie. Bis Virginia in zwei Stunden vom Schichtdienst käme, war dies ungefähr das beste, was er mit seiner Zeit anzufangen wußte.
Jedenfalls war es besser als arbeiten, dachte er müde. Endlich einmal war sein Kopf frei von Ideen, von Überlegungen, die das nächste Experiment betrafen, oder irgendeinem Hinweis, dem nachzugehen sich lohnte. Er saß mit untergeschlagenen Beinen und dachte an so wenig wie möglich.
Etwas, was wir Westler längst schon vom Osten hätten lernen müssen: daß Schönheit in den kleinsten Dingen gefunden werden kann.
Das erdbraune tönerne Teegeschirr, das von den Ufern des Japanischen Meeres den Weg hierher gefunden hatte. Seine rauhen Oberflächen reflektierten die stumpfen Farben des Spätnachmittags in einer Weise, die nicht beschrieben, nur bewundert werden konnte. Die Formrillen an der Schale vor Saul konnten von einer Töpferscheibe herrühren, die seit Generationen in Betrieb war. Erst als Akio Matsudo sprach, erwachte Saul aus der Verzauberung.
»Die Wartezeit wird sich lohnen, Saul. Haben Sie Geduld!«
Wartezeit? dachte Saul. Ihm war nicht bewußt, daß er gewartet hatte.
Glanzlichter im schwarzen Haar des japanischen Arztes blitzten wie die Schneefelder des Asahi, während er sich mit dem Tee beschäftigte und Bemerkungen über die Schwierigkeiten machte, das Teewasser unter Bedingungen minimaler Schwere richtig zum Kochen zu bringen, allein schon durch die geschwächte Konvektion. Seine Stimme verschmolz mit dem Rascheln des Windes in den Kiefern.
»Ich werde jetzt einschenken«, verkündete Akio und hob die Schalen zur Kanne.
Saul hatte es nicht eilig, zur Sache zu kommen. Als die Zeremonie beendet und der Tee eingeschenkt war, plauderten sie über unwichtige Dinge – den Unfug der mathematischen Richtung innerhalb der Psychologie und die programmatische Erklärung marxistischer Theologen zur Politik der Kirchen. Die Zeitschriften waren voll davon gewesen, und sie bedauerten, daß Nikolai Malenkow nicht da war, und mutmaßten, wie er sich zu alledem gestellt hätte.
Akio schien es jetzt gesundheitlich besser zu gehen. Als einer von Sauls ersten Freiwilligen hatte er eine frühe Version der umgebauten Cyanuten genommen. Die Entscheidung war ihm nicht schwergefallen, da er nur die Wahl zwischen dem Risiko der Behandlung und dem sicheren Tod durch eine Leberinfektion gehabt hatte. Nun war die fahlgelbe Blässe aus seinem Antlitz gewichen, und er hatte zugenommen. Bald würde er sogar auf die Anwendung des mechanischen Ausgleichs zur Erhaltung des endokrinen Gleichgewichts, der ihn am Leben erhalten hatte, verzichten können.
Saul war sehr erfreut, seinen Kollegen wieder gesund und wohlauf zu sehen.
Er hatte Virginia, Marguerite van Zoon und Akio Matsudo helfen können. Später würde es vielleicht gelingen, auch für Lani und Betty Oakes und andere etwas zu tun.
Die Erinnerung an Miguel Cruz war noch immer schmerzhaft. Der Kapitän wurde mehr als jeder andere gebraucht. Aber Sauls Fähigkeiten und Möglichkeiten waren Grenzen gesetzt, mochte sein Glück noch so unerschöpflich scheinen.
Akio Matsudo setzte die Schale vor sich auf den Tisch, nahm bedächtig die Brille ab und putzte die Gläser. »Lieber Freund, vergeben Sie mir meine Derbheit, aber ich
Weitere Kostenlose Bücher