Im Herzen des Kometen
ging sie wieder ihren ärztlichen Pflichten nach und gab Saul die Möglichkeit, sich der Forschung zu widmen.
Sauls Lächeln erstarb, als er Marguerites Patientin sah – eine jüngere Frau in einem grauen Anzug, die sich an der Ärztin vorbeidrückte und zum Ausgang eilte, wobei sie ein Stück Stoff gegen eine Gesichtshälfte hielt. Doch obwohl sie den Kopf abwandte, vermochte sie einen blasig schimmernden rosa Hautausschlag nicht vollständig verbergen.
Saul blickte ihr bekümmert nach. Er hatte gehofft, daß Marguerites Diagnose sich als ein Irrtum erweisen möchte, aber die Symptome waren unverkennbar.
Als sie vorbeieilte, sprach er sie leise an, doch sie blieb nicht stehen und blickte auch nicht auf. Die bei der Tür Stehenden machten ihr mehr als eilfertig Platz, als sie hinauswollte.
Arme Lani.
Sie hatte eine jener Krankheiten, die bisher unempfindlich gegen alle Behandlungsmethoden geblieben war. Unempfindlich sogar gegen sein neues, mit unglaublichem Glück gefundenes Wundermittel.
Während andere alles taten, um wieder ins Kühlfach zu kommen, hatte Lani gebeten, weiterarbeiten zu dürfen. Aber die Entscheidung war gefallen. Ihre Kühlung war bereits für den übernächsten Tag geplant.
Carl ist wirklich ekelhaft zu ihr gewesen, dachte Saul. Wenn er nicht zum Abschied kommt, werde ich ihm einen auf die Nase geben.
»Dr. Lintz!«
Keoki Anuenue, der Assistent, der die kürzere Percellschlange behandelte, stand auf, als Saul das Wartezimmer durchquerte. Er war mit einem Mann beschäftigt, dessen Ohren mit Watte verstopft waren und der sich alle paar Minuten mit der flachen Hand gegen den Kopf schlug, als gelte es, ein störendes Dauergeräusch zu vertreiben.
Anuenue war eine Ausnahmeerscheinung selbst für einen Hawaiianer – einer der seltenen Orthos, die völlig unempfindlich gegen Krankheit und Verzweiflung zu sein schienen. Es war, als benötige er niemals mehr als ein paar Stunden Schlaf. Wann immer Saul hereinkam, tat Keoki bereits Dienst.
Er lächelte breit, besah das Reagenzglas in Sauls Hand und fragte erwartungsvoll: »Ist dies die neueste Cyanutenvarietät, Dr. Lintz?«
Er glaubt, ich könne alles, dachte Saul. Wie Virginia. Und nachdem ich vom Glück so begünstigt worden bin, kann ich dem kaum widersprechen. Er hielt seinem Assistenten das Reagenzglas hin.
»Nehmen Sie, Keoki! Suchen Sie wie üblich Freiwillige! Anfangs nur verzweifelte Fälle. Diese Sorte sollte gegen verschiedene Erreger nützlich sein, weil ihr Wirkungsspektrum breiter ist.«
Eifrig nahm Anuenue das Reagenzglas und setzte zu einer Antwort an, als jemand in der Reihe an der linken Wand ein heftiges Niesen losließ.
Alles wandte den Kopf und bedachte den Täter mit vorwurfsvollen Blicken. Saul war nahe daran, sich mit dem Hinweis zu rechtfertigen, daß er es diesmal nicht gewesen sei.
Als wäre es ein Signal gewesen, wurde auf der Seite der Orthos immer wieder geniest. Gleichzeitig verlängerte sich die Schlange, da jeder bestrebt war, Abstand von den Befallenen zu gewinnen.
Auf der anderen Seite blieb es ruhig. Ein Percell nieste selten. Zwar wurden sie genauso wie alle anderen infiziert, und wenn ein einheimischer Erreger die Fähigkeit hatte, das körpereigene Abwehrsystem des Menschen zu überwinden, spielte es keine Rolle, welcher Gruppe man angehörte. Aber der Körper eines Percells kannte keine Überreaktion. Seine Lymphdrüsen und Schleimhäute mochten anschwellen, während das Immunsystem die Eindringlinge bekämpfte, aber der Prozeß begrenzte sich selbst. Der Körper lief nicht Gefahr, in schweren Fällen an der eigenen übereifrigen Abwehr zu sterben.
Simon, dachte er. Dies war das Geschenk, auf das du am stolzesten warst, obwohl es auch dich vor Rätsel stellte… daß jedes Kind, an dem du arbeitetest, irgendwie von derselben Steigerung profitierte, gleichgültig, an welcher Erbkrankheit zu arbeiten du begonnen hattest.
Damals in Berkeley war niemand daraus schlau geworden. Man hatte mit DNS-Streifenlesern und molekularer Chirurgie gearbeitet, um schädliche Erbfaktoren aus den Keim- und Eizellen von Ehepaaren zu entfernen, die unbedingt Kinder wollten, aber kaum jemand hatte erwartet, daß die aus solchen ›reparierten‹ Zellen entstehenden Säuglinge insgesamt eine genetische Steigerung darstellten.
Es war ein Geschenk, das Percell und seine Mitarbeiter ihnen gegeben hatten. Ein Geschenk jedoch, das sie anders gemacht hatte. Sie hatten teuer dafür bezahlen müssen…
»Saul!«
Er blickte
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