Im Herzen des Kometen
glaube, daß ich erklären sollte, warum ich Sie heute hierhergebeten habe. Ich bin der Meinung, daß es nun für Sie an der Zeit ist, sich in ein Kühlfach zu legen und auszuruhen.«
Saul stellte seine Teeschale auf den Tisch. Akio hob beide Hände.
»Bevor Sie protestieren, erlauben Sie mir bitte, daß ich Ihnen meine Überlegung erkläre. Es gibt viele Gründe.«
Er hob einen Finger. »Die Erste Wache sollte nur ein wenig länger als ein Jahr dauern. Der Jahrestag der Kolonie ist in diesem Monat. Und Sie waren einer der wenigen Zivilisten, die während der gesamten Herreise an Bord der Edmund Halley wach waren. Sie verlieren wertvolle Zeit Ihrer Lebensspanne. Es ist unfair, da gerade Sie weniger davon zu erübrigen haben als die jüngeren Leute.«
Saul schnaubte. »Was soll das, Akio? Wir mögen das Schlimmste hinter uns haben, aber der Alptraum ist noch nicht zu Ende. In Anbetracht der vielen Leute, die wir wiedererwecken mußten, und all der anderen, die krankheitshalber in die Kühlfächer kamen, kann es keinen Zweifel daran geben, daß die Wachen länger sein müssen, als geplant war. Sie wissen selbst, daß dieses Argument nicht taugt.«
Matsudo deutete eine entgegenkommende Verbeugung an.
»Das trifft sicherlich zu. Aber ich muß Ihnen sagen, daß Bethany Oakes mir vor ihrer Verabschiedung das Versprechen abnahm, Sie schlafen zu legen, sollten Ihre Symptome sich verschlimmern.«
»Sie haben sich nicht verschlimmert«, brummte Saul. »Es ist bloß wieder eine unangenehme Erkältung, wahrscheinlich ein Überbleibsel von einem Ihrer verdammten Viren zur Aktivierung der körpereigenen Abwehr. Ich erkenne das an der Art, wie es kitzelt, bevor ich niesen muß.«
Natürlich wußte er es besser. Er war voll von einheimischen Erregern, von Viroiden bis zu latenten Bakteroiden. Einige der Varianten nahmen den Zuckerkomplex nicht an und waren offenbar unempfindlich gegen sein neues Wundermittel.
Und er war älter als die meisten. Vielleicht machte ihn das verwundbarer.
Für Augenblicke drohte die kontemplative Benommenheit zurückzukehren. Das Gespräch hatte ihn an eine unheimliche Wahrnehmung erinnert, die er vor ein paar Tagen bei der Untersuchung einer eigenen Blutprobe gehabt hatte, ein Gefühl, daß etwas…
Er schüttelte den Kopf. Nein, das war Unsinn. Es fehlte noch, daß er sich selbst verrückt machte.
»Es gibt einen zweiten wichtigen Grund.« Matsudo füllte ihre Schalen vorsichtig mit dampfendem goldbraunem Tee. »Wegen der Meuterei sind alle Anstrengungen dieses Jahres auf die Errichtung von Gewächshäusern an der Oberfläche und von Versuchspflanzungen in einer der großen Kavernen konzentriert. Die Hydrokulturen der Edmund Halley müssen am Leben erhalten werden, bis die neuen Einrichtungen fertiggestellt sind. Deshalb wird Evans gegenwärtig aufgetaut – er ist der beste Ökologe, der uns zur Verfügung steht, und mit ihm wird Swatuto aufgetaut, der ihn unterstützen soll.«
Saul war das winzige Zögern, das der Nennung des Namens vorausgegangen war, nicht entgangen. Niemand sprach gern davon, und noch peinlicher vermied man jede Erwähnung der Newburn. Seit die Meuterer abgereist waren, hatte Saul niemanden je den Namen der verlorenen Transportsonde erwähnen hören, die inzwischen vollständig außer Reichweite war und sich mit jedem Tag weiter entfernte. Das Thema war völlig tabu.
»Ja? Das ist sehr gut, weil wir uns mit Evans abstimmen können. Es gibt viele Fragen im Zusammenhang mit dem Ursprung der heimischen Lebensformen, die ein Ökologe vielleicht besser beantworten kann als unsereiner. Ich bin nicht sicher, ob die alte Theorie wissenschaftlich noch haltbar ist.«
Akio blickte zur Bildwand, wo jetzt eine Sonnenuntergangsstimmung zu sehen war. Die Wolken waren orangerot und schwarzgrau, von atemberaubender Schönheit.
»Sie mißverstehen mich, lieber Freund. Dies bedeutet, daß wir in der biologisch-medizinischen Abteilung mehr Leute im Dienst haben werden als langfristig vertretbar ist. Übrigens ist Swatuto ein besserer Kliniker als Sie es sind, Saul. Das wissen Sie.«
»Deshalb habe ich mich auf die Forschung verlegt«, erwiderte Saul und suchte nach seinem Taschentuch. »Ich kann… kann kranke Leute nicht ertragen.« Der Raum flimmerte, und Saul schloß die Augen und schüttelte den Kopf; dann beugte er sich zur Seite und nieste heftig.
Matsudo lächelte. »Niemand macht das so dramatisch wie Sie, Saul. Ich nehme an, es hängt mit Ihrer semitischen Nase zusammen. Im
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