Im Herzen des Kometen
Später verbrachte man dann Jahre mit Reparaturen und Improvisationen.
»Diesmal keine Zeremonie?« fragte Carl.
»Mir ist nicht danach zumute«, sagte Vidor.
Sie waren alle zu abgearbeitet, um mehr als das Nötigste zu tun. »Geh schon, ruh dich ein bißchen aus!« sagte Carl freundlich. Aber er glaubte selbst nicht, daß es viel helfen würde.
Er trug Quiverian in die Monitorprogramme ein, während Vidor schon ging. Er bewegte sich wie unter Gelenkschmerzen. Genau wie Quiverian, dachte Carl. Aber keiner von beiden bekam diesen braunen Ausschlag, der Samuelsons ganzen Körper bedeckte. Verschiedene Symptome oder verschiedene Krankheiten?
Nicht, daß es allzu wichtig gewesen wäre, denn eine Heilmethode gab es nicht. Wenn die Erkrankungen in der gegenwärtigen Rate ihren Fortgang nahmen, würden sie alle innerhalb einer Woche tot sein.
Was bedeutete, daß er sofort mit dem Auftauen weiterer Ersatzleute anfangen mußte. Jetzt.
Sie standen an einem Kreuzweg. Die sechs, die gegenwärtig in der Krankenstation aufgetaut und wiederbelebt wurden, würden nicht ausreichen, die Halley-Kolonie am Leben zu erhalten, zumal sie erst wieder zu Kräften kommen mußten. Wenn auch Virginia, Saul, er selbst und Lani aufs Krankenlager geworfen würden, wäre die Expedition gescheitert. Ohne Aufsicht und Wartung würden die Kühlfächer eins nach dem anderen durch Fehlfunktionen ausfallen. Halley würde zu einem die Sonne umkreisenden Friedhof gefrorener Leichen werden.
Er gab dem Computer den Prioritätskode ein und machte sich an die Arbeit. Verschiedene Systeme mußten angewärmt und in Betrieb genommen werden, Berechnungen waren notwendig, Arzneimittel mußten bereitgestellt und das Bestandsverzeichnis geändert werden. Carl hatte von der Encke-Mission einige Erfahrung mit den Verfahrensweisen. Er arbeitete so gut er konnte und schlug im Handbuch nach, wann immer er Zweifel hatte. Wenn absolut nötig, konnte Saul Lintz ihn beraten… trotz seiner eingerosteten Kenntnisse war Saul noch immer der Arzt. Aber…
Aber was? Ja, ich weiß, sagte er sich: Ich will ihn nicht anrufen. Ich bin nicht scharf darauf, den Bastard wiederzusehen. Natürlich spielt auch kindische Eifersucht mit. Aber das macht die Dinge nicht leichter. Im Gegenteil.
Es war jedenfalls eine gute Idee, sich selbst sachkundig zu machen. In ein paar Tagen würde er wahrscheinlich Saul einsargen. Er hoffte nur, daß Virginia sich nicht vorher noch ansteckte.
Er arbeitete bedächtig und sorgfältig, denn seine Gedanken schweiften immer wieder ab, was er durch ein verstärktes Bemühen um Konzentration auszugleichen suchte. Er mußte die Unaufmerksamkeit abschütteln, oder ihm würde irgendein dummer Fehler unterlaufen. Musik? Das war ungefähr alles, was er dieser Tage hatte. Jeden Tag hörte er sechzehn Stunden lang Mozart, Liszt und Haydn; es war die einzige Möglichkeit, sich selbst von der anstrengenden, nichtendenwollenden Säuberungsarbeit zu distanzieren. Und die ganze Zeit mußte man die Augen überall haben, um zu sehen, ob nicht irgendwo ein Wurm die Isolationsschicht durchbrochen hatte und womöglich darauf wartete, an ihn heranzukommen, sich durch den Schutzanzug zu fressen und sein tödliches Gift in ihn zu ergießen…
»Carl!«
Er wandte sich um, überrascht von der weiblichen Stimme, die so unerwartet an sein Ohr drang. Virginia! War sie also doch nicht zu Saul gegangen…
Der Anblick Lanis, die den Vorbereitungsraum betrat, machte seine jäh aufkeimende Hoffnung zunichte.
»Ich hörte, daß ihr Quiverian schlafenlegt, und dachte, ich sollte herunterkommen und… Ihr habt ihn schon im Kühlfach?«
Carl nickte.
»Keine Zeremonie?«
»Wir waren nicht in der Stimmung. Jim ist nicht auf dem Damm, und ganz allein…«
Lani betrachtete ihn mitfühlend. »Ich verstehe.«
»Vielleicht können wir heute abend alle zusammenkommen und ein paar Gläser Bier trinken…« Er ließ den Satz vage in der Luft hängen, denn in diesem Augenblick fiel ihm ein, daß sie vor ein paar Lebzeiten beinahe eine Romanze angefangen hätten. Er hatte seit längerem nicht mehr daran gedacht. Mit jedem Tag revidierte er seine Meinung von Lani nach oben, aber noch immer beschleunigte sich sein Puls, wenn er Virginia sah. Nicht, daß es wichtig gewesen wäre; sie waren alle abgearbeitet und erschöpft.
Sie nickte mit Nachdruck. »Ja, wir könnten ein wenig Gruppensolidarität gebrauchen. Du bist jetzt der Führer, Carl. Du mußt uns zusammenhalten.«
Seit mehr als einer
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