Im Herzen des Kometen
verfügbare Mittel nicht wiederbelebt werden kann. Todesursache: massive periphere neurale Schäden, hervorgerufen durch nicht diagnostizierte Infektionsträger, die vor drei Stunden die Blut-Gehirn-Schranke überwanden. Einzelheiten und Gewebeanalyse in der Anlage. Der Patient wurde heute, am…«
Saul blickte auf und sah sein mattes Spiegelbild in der Verkleidung des Steuergerätes. Blaß war er, und müde. Und er fühlte sich noch müder als er aussah.
Welches ist das Datum? War es noch November 2061? Oder schon Dezember?
Habe ich Miriams Geburtstag vergessen? dachte er schuldbewußt. Nur zehn Jahre nach ihrem Tod? Und doch kommt es mir vor, als sei es in einem anderen Jahrhundert gewesen.
Manchmal war es, als kämpfte er nur aus einem Grund weiter: daß Virginia ihren neunundzwanzigsten Geburtstag erleben würde. Wenn sie dann, in sechs Monaten, noch am Leben wären, um ihren Geburtstagskuchen mit einer weiteren Kerze zu versehen, dann würde er eine neue Priorität finden. Immer eins zur Zeit.
»Das Datum kann eingesetzt werden. Ebenso die Auswahl des gebräuchlichsten Abkühlungsverfahrens für neural geschädigte Fälle«, sagte er dem Gerät.
»Ja, Doktor.« Der Computer würde den Programmrahmen an Bord der Edmund Halley befragen und die Einzelheiten entsprechend in die Gerätesteuerung eingeben.
Die Wahrscheinlichkeit, daß es der medizinischen Wissenschaft in achtzig Jahren gelingen würde, solch ein massives Trauma rückgängig zu machen und Methoden zu finden, wie man massiv gefrorene Körper schadlos auftauen und wiederbeleben könnte, war sehr gering. Immerhin war er es Nikolai schuldig, ihm diese geringe Chance zu bieten.
Immerhin erforderte die Tiefkühlung keine menschliche Überwachung; man konnte sie den Maschinen überlassen. Nach der Heimkehr – sollte es je dazu kommen – wäre es am besten, wenn die zur Tiefkühlung und Einlagerung der Körper verwendeten Verfahren so einheitlich wie möglich waren.
Saul machte kehrt, um den Behandlungsraum zu verlassen. Hinter ihm summte der Apparat des automatischen Verfahrens. Nachdem die Tür sich zischend geschlossen hatte, lehnte er sich mit der Schulter gegen die Wand aus Fibergewebe. Seine Arme waren ihm schwer, selbst in der geringen Schwerkraft. Ein dumpfer Druck in den Nasenhöhlen erzeugte ermüdenden, gleichmäßigen Schmerz.
Nun? fragte er nach innen. Was habt ihr vor? Wollt ihr eine richtige Krankheit entwickeln und mich umbringen? Oder aufhören, mich zu plagen, und weggehen? Seit acht Wochen schon schlug er sich mit der verdammten Erkältung herum. Sein Leben lang von kleineren grippalen Infekten des einen oder des anderen Virus geplagt, hatte er niemals eine derart hartnäckige Erkrankung der Atmungswege erlebt. Aber nun begann ihm diese unaufhörliche Benommenheit, dieser dumpfe Druck wirklich zuzusetzen.
Er schüttelte den Kopf. Entscheidet euch endlich! sagte er den Erregern in ihm, und es war ihm in diesem Augenblick gleich, ob sie eine einheimische Geißel oder banalere Importe von einer warmen und fruchtbaren Erde waren. Er sah auch nichts Unwissenschaftliches in der Personifizierung seiner Parasiten. Er haßte sie.
Der arme Nikolai Malenkow, überlebt von dem Mann, den er beinahe ins Kühlfach geschoben hätte. Saul versuchte sich des großen, ebenso kraftvollen wie intelligenten Mannes zu erinnern, wie er ihn im Leben gekannt hatte, aber es war hoffnungslos. Er konnte nur die bleichen erschlafften Wangen sehen, unbelebt von Empfindung, die Leere gebrochener Augen.
Mein Gott, betete er, erspare Virginia ein solches Schicksal.
Vor zwei Tagen hatte sie sich unter dem Vorwand dringender ärztlicher Betreuung Zutritt zu seinem Raum verschafft und, so konnte man getrost sagen, einen völlig schamlosen Akt der Vergewaltigung verübt. Seine schwächlichen Proteste waren unter ihrem warmen Körper, ihrem heißen Mund erstickt worden, und im Nu hatte sie alle Mikrofauna, die ihn plagte, mit ihm geteilt und dadurch allen Argumenten, sie vor Ansteckung zu schützen, den Boden entzogen.
Eine entschlossene Frau. Seither war sie kaum von seiner Seite gewichen, ausgenommen während der vierzehnstündigen Schicht. Und obgleich er sich sorgte, konnte Saul nicht sagen, daß er über diese Entwicklung etwas anderes als froh war.
Es war ihre Wahl. Und Carl Osborn würde eben lernen müssen, damit zu leben.
Wenigstens so lange, wie sie aushielten.
Tags zuvor hatte er geholfen, Jim Vidor einzusargen, den die Krankheit in Fieberphantasien
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