Im Herzen des Kometen
Woche war er nominell Schichtleiter, aber ohne die Zeit, sich selbst in dieser Rolle zu betrachten. »Alle sechs? Mit zwei oder drei Kranken? Eine großartige Mannschaft. Die Hälfte der Ersten Schicht ist in zehn Tagen ausgefallen. Nein, in weniger.« Er schüttelte den Kopf. »Es geht alles zu schnell.«
Er fragte sich, was Kapitän Cruz an seiner Stelle getan hätte. War es möglich, daß er Wichtiges versäumt hatte?
»Du bist müde.« Sie legte ihm die Hand auf die Schulter und tätschelte ihn freundlich. Wie einen Ochsen, dachte er. Nun, viel besser als ein Ochse bin ich zur Zeit nicht.
»Äh… freut mich, daß du gekommen bist.«
»Schon gut. Du brauchst sicherlich Hilfe.«
»Ich habe schon angefangen, ein paar Ersatzleute aufzutauen.«
»Werden wir nicht mindestens ein Dutzend brauchen?«
»Dafür brauche ich Hilfe. Wir müssen gute Leute haben, aber… also, wen würdest du aussuchen, um ihn in dieses Totenhaus zu stoßen?«
Lani nickte mit nachdenklicher Miene. Er überlegte, wie sie emotional mit der allgegenwärtigen Gefahr zurechtkam. Sie lief Gefahr, sich in diesem Augenblick bei ihm anzustecken – oder er sich bei ihr. Niemand hatte eine klare Vorstellung davon, welchen Gesetzen diese Krankheiten und ihre Erreger folgten.
»Nicht meine Freunde…«
Er war überrascht. »So hatte ich es nicht gedacht. Ich möchte Leute auswählen, von denen ich weiß, daß sie einer solchen Situation gewachsen sind.«
»Ich verstehe. Zuerst dachte ich daran, meine Freunde zu schützen; du denkst daran, diejenigen aufzutauen, denen du vertrauen kannst. Deshalb bist du geeignet, den Befehl zu führen, und ich nicht.«
Carl machte eine verlegene Gebärde. Er wußte nur zu gut, daß er keine echte Führergestalt war, nicht entfernt wie Kapitän Cruz; er tat bloß, was offensichtlich schien. Aber ihr Argument war zutreffend; es war sehr viel weniger schmerzlich, Fremde krank werden und sterben zu sehen.
»Ich treffe diese Entscheidungen nicht gern allein. Ich bin bloß ein gewöhnlicher Astronaut. Hier geht es um Leben und Tod, um Himmels willen.«
»So ist es.«
In einer subtilen Art und Weise zog Lani sich von ihm zurück, stand abseits, das Gesicht neutral, der Blick wachsam, und erwartete seine Anweisungen. Sie wollte die Verantwortung nicht. Aber er wollte sie auch nicht.
»Gut, ich muß dem System eingeben, welche Fächer angewärmt werden müssen, sonst kommen wir nicht weiter.« Er wandte sich zur Konsole und fuhr mit dem Finger über die Liste der Mannschaftsmitglieder und ihrer ausgewiesenen Fähigkeiten. Dann drückte er die Tasten neben zwei Namen.
»Jeffers und Sergejow«, sagte er grimmig. Dann ließ er ein trockenes, verkrustetes Lachen hören. »Junge, werden die überrascht sein.«
12
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SAUL
Genug! sagte er sich. Laß den armen Kerl in Ruhe!
Er richtete sich vom Behandlungstisch auf und legte das Besteck aus der Hand.
»Kode blau beendet. Wiederbelebungsprogramm anhalten«, sagte er zu den spinnenartigen medizinischen Hilfsmaschinen, die sich um Nikolai Malenkows blasse, wächserne Gestalt drängten. »Sauerstoffversorgung des Gewebes aufrechterhalten. Vorbereitende Glykogeninfusion für zeitweilige Einlagerung.«
Es war zu spät, den Russen als Kranken ins Kühlfach zu legen. Sein unerwarteter Tod hatte diese Möglichkeit verbaut. Sauls einzige Zuflucht lag in der Notversorgung des Leichnams mit Sauerstoff, um ihn dann für einen erhofften Tag in der Zukunft einzufrieren, wo Techniken und Methoden zur Heilbehandlung zur Verfügung stehen würden.
Das Steuergerät meldete sich mit einem doppelten Summton. Saul, der traurig seinen toten Freund betrachtet hatte, blickte auf.
»Ja? Was gibt es?«
»Eine Bitte um Klärung, Doktor«, sagte die Anlage. »Bitte wählen Sie Infusion und Kühlungsprofil. Auch ist zur zeitweiligen Tiefkühlung eine Sterbeurkunde erforderlich.«
Er nickte. Bei seinen eingerosteten klinischen Fertigkeiten war es ein Wunder, daß er sich überhaupt der richtigen Gesamtprozedur erinnerte.
»Richtig. Stimmenidentifikation: Dr. Saul Lintz, Bürger der Diaspora-Konföderation, siebter Arzt der Halley-Expedition. Kodenummer…« Er drückte die Fingerspitzen gegen die Schläfen. »Habe ich vergessen. Sie kann den Unterlagen entnommen und eingesetzt werden.«
Die Maschine willigte ein.
»Ich bescheinige hiermit, daß Dr. Nikolai Malenkow, Bürger von Großrußland, zweiter Arzt der Expedition, nach den Erkenntnissen der Medizin tot ist und durch
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