Im Herzen Rein
Kind dafür bewundert hatte. Sie hatte Sandra immer alles nachgeplappert und sogar ihre Strafen hingenommen, weil sie wusste, dass sie ein gutes Herz hatte.
Und das empfand sie jetzt auch bei Antonia - sie hatte ein gutes Herz.
Toni plauderte von ihrer Liebe zu Heiliger. Sie waren seit zwei Jahren zusammen, und nun war sie schwanger und wollte gern heiraten. Aber nicht wegen der Schwangerschaft. »Ich möchte mein Leben mit ihm verbringen«, sagte sie.
»Und er?«, fragte Paula.
»Er will noch warten. Will den Zustand noch nicht verändern.«
Paula sagte nichts .
»Er will die Frische erhalten, hat Angst vor der Gewohnheit«, fuhr sie fort. »Aber wir sind viel zusammen. Auch im Atelier, wenn er arbeitet.«
»Woher kommen Sie?«
»Aus Freiburg. Mein Vater ist Architekt in Brasilien. Wir haben keinen Kontakt.«
»Und Ihre Mutter?«
»Sie hat Alzheimer und ist seit zwei Jahren in einem Heim. Ich besuche sie, so oft ich kann.« Antonia schob ihre Hand wieder unter Paulas Arm und ging ein paar Schritte mit ihr. »Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust: Ich möchte ein Familienleben, habe aber auch gern Abwechslung und Bewegung. Deshalb arbeite ich als selbstständige Grafikerin.« Sie lachte. »Das wird meiner Kommunikationsfreude gerecht; ich bin Zwilling.«
Die letzten Worte hatte Heiliger gehört und rief: »Wenn man einen Zwilling als Frau hat, braucht man keine zweite.«
Paula fand, Ralf müsste schon ziemlich gute Gründe haben, um mit diesem Typen auch nur eine Minute mehr als notwendig zu verbringen.
Sie umarmte Antonia, nickte Heiliger kühl zu und verabschiedete sich von Ralf. »Ich leg dir den Schlüssel ins Versteck. Komm nicht so spät.«
»Du musst aber nicht, oder?«, hörte sie Heiligers Kommentar hinter ihrem Rücken.
Während der Autofahrt wünschte sie jeder Frau, dass ihr so ein Mann erspart bliebe.
36
Es regnete das erste Mal seit langer Zeit. Die Schauer wehten wie Schleier über das Auto. Paula drehte das Fenster herunter, um den Regen zu riechen. Sie war auf dem Weg von der Galerie nach Hause, als Marius’ Anruf kam. Er hatte versucht, Mendel zu erreichen, und schließlich mit seiner Frau gesprochen. Sie behauptete, nicht zu wissen, wo er stecken könnte, und hatte gefragt, worum es gehe. Das fand Marius eigenartig.
»Warum?«, fragte Paula.
»Normalerweise heißt es, mein Mann oder Papa ist nicht da, und auf die Frage, wann er denn zu Hause ist, erfährt man knapp die mögliche Uhrzeit. Ihr Nachfragen wirkte wie eine Kontrolle.«
Paula hatte mit Marius verabredet, Mendel als möglichen Zeugen für einen Autounfall anzusprechen. Sie wollten ihn überraschen.
»Vielleicht hat Doktor Boldt ihm von deinem Besuch erzählt, und er hat seiner Frau gleich entsprechende Anweisungen gegeben«, meinte Paula.
»Wir werden sehen. Jedenfalls war sie dann einverstanden, dass wir gegen halb zehn kommen, da müsse er zu Hause sein.«
»Gut. Ich komme. Wo ist das?«
»Tieckstraße 30.«
Paula fuhr über die Chausseestraße hinweg, in die Invalidenstraße bis hin zur Tieckstraße. Die nasse Straße glänzte im Scheinwerferlicht. Das Haus war ein sanierter Altbau. Rechts und links parkten die Autos dicht aneinander. Sie fuhr drei Straßen weiter, doch nirgends war ein Plätzchen frei, auch in den Querstraßen nicht. Sie hatte Marius schon vor dem Haus stehen sehen und parkte schließlich an einer Straßenecke.
Zuerst klopften sie sich den Regen von der Jacke, dann klingelte Marius. Sie hörten die Stimme von Frau Mendel und gleich darauf den Summer. Die Wohnung lag im dritten Stock.
Sie nahmen den Fahrstuhl. Moritz Mendel erwartete sie vor der Wohnungstür. Sie erkannte ihn sofort wieder, zumal er dasselbe Jackett wie auf dem Video trug. Die Tür war angelehnt, aber er machte keine Anstalten, sie hereinzubitten. Statt einer Begrüßung schaute er auf die Uhr. Seine Haltung war abweisend. Er sah sie unwirsch an.
»Ich habe den ganzen Nachmittag versucht, Sie zu erreichen«, sagte Marius, »Ihre Frau hat uns gestattet, noch vorbeizukommen. Wir haben nur ein paar Fragen.«
»Und die wären?«
Er war gerade noch höflich, und seine genervte Miene forderte Paula heraus. Vielleicht hatte Boldt inzwischen mit ihm gesprochen. Sie fragte Mendel direkt: »Haben Sie ein Verhältnis mit Johanna Frenzi?«
Er warf einen schnellen Blick auf die angelehnte Wohnungstür und sagte bestimmt: »Kenne ich nicht. Ist das die Frau mit dem Unfall?« Er holte ein Kaugummi aus der Tasche, wickelte es
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