Im Herzen Rein
der Frauen inszeniert sind, habe Ähnlichkeit mit Installationskunst. Und da Herr Heiliger sich dahingehend selbst bereits der ermittelnden Staatsanwältin gegenüber geäußert hat, habe ich es als meine Pflicht angesehen, mich mit ihm zu unterhalten.«
»Und was ist dabei herausgekommen?«, fragte Ralf und tat so, als wäre er ebenso amüsiert wie Heiliger.
»Oh, dass ich kein Alibi habe. Weder für den ersten Mord an Silvia Arndt noch für den zweiten an Johanna Frenzi.« Ganz offensichtlich genoss er es, die Namen der Opfer zu nennen, so, als stehe er ihnen nahe oder als sei er zumindest vollkommen vertraut mit beiden Fällen. Eine Betroffenheit, dass man ihn in Verdacht hatte, war nicht herauszuhören. Es schien ihn alles zu amüsieren.
Paula sagte nichts dazu.
Heiliger betrachtete ihren Mund und fragte Ralf, ohne wegzuschauen: »Wo hast du Sherlock Holmes denn kennengelernt?«
»Ich kenne sie schon lange, wir sind so gut wie verheiratet«, sagte Ralf.
»Oh, Frau Zeisberg«, rief Heiliger gedehnt. »Dann muss ich mich vorsehen, bevor ich die nächste Dame mit einem blauen Kleid ausstaffiere.«
Paula fiel auf, dass er zu wissen schien, dass die blauen Kleider vom Killer stammten. Es gab Leute, wie ihre Mutter, denen das trotz der Medienberichte nicht klar war.
»Ich hoffe, Sie waren zufrieden mit meiner Hamburg-Reise«, sagte er höhnisch.
Heiligers Angaben über seine Hamburg-Reise wurden noch überprüft. Paula wollte bei den Hamburger Kollegen nachhaken und sie drängen, schneller zu arbeiten.
Ralf versuchte einer Konfrontation vorzubeugen. »Ich habe gehört, dass du Chris direkt am Fundort der Leiche angebaggert hast«, sagte er lachend. »Heiliger steht eben für Schock.«
Der nahm das als Kompliment und begann einen Vortrag über »den Schock« und seine Wandlung. In den Siebzigerjahren hätten sich die beiden englischen Künstler Gilbert und George in London auf einem öffentlichen Platz nackt, mit metallischer Farbe bemalt, vor Zuschauern aufgebaut und den alten Gassenhauer Underneath the arches gesungen. Das sei damals ein Schock gewesen. Die logische Weiterentwicklung von damals führe heute zu seinem ertrinkenden Liebespaar. Aber die produktive Ästhetik müsse in der Kunst des Schockierens viel weiter gehen.
Paula kannte als Künstler nur Ralf gut, mit dem sie seit Jahren zusammenlebte. Er war bescheiden und fleißig und malte Bilder, die man ansehen und verstehen konnte. Heiligers Verhalten und Gerede war für sie eine Unverfrorenheit. Zwei junge Frauen waren in dieser Stadt gefoltert und umgebracht worden. Die Ermittler versuchten, den Verbrecher zu finden, und so ein Schnösel nahm sich heraus, einer Kunst des Schockierens das Wort zu reden. Einer Kunst, die viel weiter gehen sollte - bis zu der Ermordung dieser Frauen?
Am liebsten hätte sie ihm eine geknallt. Stattdessen wandte sie sich Heiligers Freundin Antonia zu, die nicht zugehört hatte, sondern eine Skulptur betrachtete. Sie bemerkte Paulas Blick und lächelte. Paula mochte ihr Lächeln, es war warmherzig. Wie erträgt sie einen solchen Mann, fragte sie sich. Auf Antonia traf zu, was Heiliger gerade über sie gesagt hatte - sie hatte einen lasziven Ausdruck, zumindest ihr Blick. Vielleicht wegen der langen Wimpern, die ihre Lider herunterzuziehen schienen. Dabei wirkte sie mädchenhaft, hatte volle Lippen und eine weibliche Figur, trotz der geraden Schultern.
Dadurch, dass Antonia sie in eine Unterhaltung verwickelte, unterließ es Heiliger, sie weiter als Zielscheibe für seinen Spott zu nehmen. Antonia sprach über ihre Beobachtungen und Empfindungen in der Ausstellung und war vollkommen offen. Sie hakte Paula unter und zog sie fort. »Kommen Sie, wir schauen uns das zusammen an. Und sagen Sie doch Toni, wie alle.«
»Gut, Toni.«
Sie gingen nah an die überdimensionierte Figur heran.
»Heute versuchen viele Frauen perfekte Schönheit zu kopieren und sehen künstlich aus«, sagte Toni. »In dieser Ausstellung hier ist es andersherum: Die Kunst kopiert den Menschen.«
Paula verblüffte die Perfektion - jede Pore war sichtbar, die Haut wirkte so echt, als ob sie atmete.
»Perfekt, nicht wahr?«, sagte Antonia. »Schau’n Sie nur: da, die Härchen in der Nase - und die feinen Äderchen und geröteten Stellen in der Haut. Man möchte sie berühren, weil sie so echt aussieht.« Langsam gingen sie um den künstlichen Menschen herum. Paula mochte Tonis kindliche Begeisterung. Sie erinnerte sie an ihre Schwester, die sie als
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