Im Herzen Rein
Boldt ist jederzeit bereit, eine Aussage zu machen.«
»Hast du ihn gefragt, ob er oder Mendel bei Johanna Frenzi Erfolg hatten?«
»Hab ich, war aber nicht so. Er meinte, Mendel ist da gar nicht mehr hingegangen, nur das eine Mal, als er ihm das Café gezeigt hat. Nebenbei bemerkt, ist Mendel verheiratet, und Boldt geht mit ihm gelegentlich Squash spielen.«
Ein Mal war Mendel auf jeden Fall noch ins Lindencafé gegangen, das hatte Paula auf den Bändern gesehen. Es galt herauszufinden, ob es öfter gewesen war und ob Mendel einen Grund hatte, seinem Squash-Freund die weiteren Besuche zu verschweigen. Sie würde sich gleich wieder vor den Bildschirm setzen und bis zum Abendessen weiterschauen.
»Wann können wir Mendel sprechen?«
Marius überlegte. »Während seiner Dienstzeiten ist schlecht an ihn ranzukommen. Am besten bei ihm zu Hause, aber das wäre erst so gegen neun oder zehn.«
»Egal. Wir müssen ihn uns schnappen, und zwar heute.«
»Gut. Ich ruf dich an, wenn er die Klinik verlässt.«
Sie besprachen noch, wie sie die Sache angehen würden, und dann ging sie in ihr Büro, um den Spezialisten von der Kriminaltechnik anzurufen, ob er schon etwas herausgefunden hatte über die Stimme des anonymen Anrufers. Sie war nach der Pressekonferenz gleich dorthin gefahren, damit der Anruf analysiert werden konnte. Es gab noch kein Ergebnis.
Sie stand jetzt mitten im Büro und fragte sich, was sie eigentlich suchte - ah ja, ihren Schlüsselbund. Er lag nicht auf dem Schreibtisch. Hatte sie ihn da nicht hingelegt? Sie hob Papiere hoch, zog Schubladen auf, fand die Schlüssel aber nicht. Sie wühlte in ihrer Handtasche, obwohl sie sicher war, dass sie sie dort nicht hineingelegt hatte. In den Taschen ihrer Jacke waren sie auch nicht. Vielleicht hatte sie sie in Gedanken zu Marius oder Tommi mit rübergenommen. Aber dort waren sie auch nicht. Sie konnte sich nicht erinnern, wo sie sie zuletzt gesehen hatte. Entnervt beschloss sie, morgen in Ruhe weiterzusuchen. Um zu Hause nicht vor verschlossener Tür zu stehen, rief sie Ralf an und erreichte ihn auf dem Handy. Er war unterwegs zu einer Ausstellungseröffnung und schlug vor, sie solle dort hinkommen, um seinen Hausschlüssel abzuholen. Sie hatte keine Lust, aber es blieb ihr nichts anderes übrig. Früher hätte er alles stehen und liegen lassen, um ihr den Schlüssel zu bringen. Die Dinge änderten sich.
Sie sah sich noch eine Stunde Videos aus dem Lindencafé an, dann fuhr sie los.
Ihr erster Blick fiel auf einen Riesen. Die monumentale Figur eines kauernden Jugendlichen sah trotz ihrer Größe echt aus, wirkte sogar verletzlich.
Ein Stückchen weiter sah sie Ralf unter den Besuchern der Vernissage, und gleich darauf spürte sie einen Druck auf dem Magen: Heiliger stand neben ihm, groß und massig, mit kantigem Schädel und dämonischem Blick. Er redete auf Ralf ein, der ihm geduldig zuhörte. Eigentlich stand er Heiliger kritisch gegenüber, aber davon war nun nichts zu merken. Er lachte gerade herzhaft über eine Bemerkung des Meisters, und dabei drückte seine Haltung Nähe aus. Diente er sich auf diese lachhafte Weise dem Erfolg an? Sie verscheuchte den bösen Gedanken und konzentrierte sich auf die Begegnung. Sie würde jetzt einfach hingehen, den Schlüssel holen und fertig. Es waren eine Menge Leute auf der Vernissage, und sie bemerkte erst jetzt, dass die junge Frau daneben zu Ralf und Heiliger gehörte. Paula schätzte sie auf etwa dreißig, sie war blond, groß, schlank, trug Stiefel, einen grauen Glockenrock und ein eng anliegendes rotes T-Shirt. Obwohl Heiliger redete und redete, schien Ralfs Interesse auf die Frau fixiert zu sein. Hatte er etwas mit ihr? Oder bildete Paula sich das ein?
Sie ging auf die drei zu. Heiliger bemerkte sie zuerst.
Er betrachtete sie wie ein Modell, von dem er eine Skizze anfertigen wollte, und statt einer Begrüßung machte er eine Bemerkung über ihr Gesicht. »Es hat einen lasziven Ausdruck«, sagte er, als spräche er von einem Gegenstand.
»Einen intelligenten Ausdruck«, fing Ralf den Übergriff ab und stellte vor: »Josef Heiliger und seine Freundin Antonia. Paula.«
»Wir kennen uns schon«, sagte Heiliger, und es klang, als hätten sie eine Nacht zusammen verbracht.
Ralf machte ein betretenes Gesicht.
Sie erklärte Ralf: »Ich habe Herrn Heiliger gestern in seinem Atelier besucht, weil ich dachte, er könnte uns helfen. Der Experte, den wir hinzugezogen haben, ist der Meinung, die Art, wie die Leichen
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