Im Herzen Rein
sich zu und lauschte. Sie hörte Geräusche aus der Küche, Ralf hatte ihr gesagt, er würde heute Abend kochen. Automatisch hielt sie Ausschau nach Kasimir und war traurig, dass er nicht mehr da war - heute besonders.
Ralf stand in der Küche, breitbeinig, grinsend und schüttelte etwas mit beiden Händen durch die Luft. »Hallo, da bist du ja. Hier, unsere neue Anschaffung.«
»Was ist das?«
»Ein Cocktail-Shaker. Habe ich heute erstanden. Für dich. Ich mixe gerade etwas, du wirst es lieben.«
»Wusste Heiliger, dass das Kind, das Antonia Hartmann erwartete, von dir ist?«, fragte sie unvermittelt.
Er stoppte mitten in der Bewegung. Aus dem offenen Shaker tropfte dicke, honiggelbe Flüssigkeit. Ralf war bleich. Er sah sie an, und seine Augen schienen dunkler als sonst. »Wenn er es wüsste, dann wüsste er mehr als ich.«
»Nun weißt du es zumindest.«
»Und du«, sagte er leise.
»Und ich, richtig. Seit wann hattest du ein Verhältnis mit ihr?«
Ralf schwieg. Dann sagte er langsam, wie unter Schock: »Seit etwa drei Monaten.«
»Aha. Seit du also nicht mehr darüber geklagt hast, dass mich mein Job so viel Zeit kostet. Ich habe mich schon gewundert.«
»Vielleicht können wir in Ruhe -«
» Wir können gar nichts mehr, weder in Ruhe noch sonst wie.«
»Dann kann ich das Abendessen wohl aus dem Ofen nehmen.«
»Sehr wohl, kein Bedarf.«
Er stellte den Topf mit lautem Krachen in den Ausguss. Erst war sie schockiert darüber, verstand aber gleich, dass es eine aggressive Reaktion auf die Nachricht war. Sie hatte im Moment ihrer Rage vergessen, dass er noch gar nicht wusste, dass Antonia tot war.
Jetzt wankte er auf einen Stuhl zu und fragte mit zitternder Stimme: » Erwartete? Antonia ist also tot?«
»Ja. Ermordet, wie die anderen Frauen.« Sie hatte kein Mitleid mit ihm. Der Schmerz brannte wie ein Fegefeuer in ihr.
Es war totenstill in der Küche.
Sie sah, dass sich Ralfs Augen mit Tränen füllten. Er schaute runter und schwieg weiter. Fast hätte Paula ihn in den Arm genommen, sie tat es aber nicht.
Ohne sie anzusehen, fragte er mit leiser Stimme: »Was weißt du über Antonias Tod?«
»Ich weiß nicht, warum er sie getötet hat, wenn du das meinst. Und wenn - dann müsste er auch die anderen Frauen umgebracht haben. Wusste er, dass du eine Beziehung mit ihr hattest?«
»Nein. Sie hat ihn geliebt, aber sie war auch unglücklich mit ihm und -«
»- und da hast du sie getröstet«, unterbrach sie ihn.
»Wenn du so willst.«
»Ich wollte es nicht so, du verdammter Idiot!« Im nächsten Moment ärgerte sie sich, dass sie ihn angebrüllt hatte. Sie wollte keine Schwäche zeigen.
Er stand auf und lehnte sich gegen die Spüle.
»Warum hast du es mir nicht gesagt?«
»Hast du mir immer alles gesagt?«
»Nein«, sagte sie kalt. »Hast du sie geliebt?«
»Geliebt? Nein. Ich war verliebt. Und ich habe sie geschätzt wegen ihrer Aufrichtigkeit.«
»So aufrichtig, dass sie Heiliger dein Kind unterschieben wollte?«
»Sie hat nicht daran gezweifelt, dass es von ihm war.«
»Und hat sie ihm gesagt, dass sie mit dir schlief?«
»Nein.«
»Hast du es ihm gesagt?«
»Nein. Er hätte es mir nicht geglaubt, weil er mich nicht ernst nimmt.«
»Hättest du es auch getan, wenn du gewusst hättest, dass es unsere Beziehung beenden wird?«
Er machte zwei Schritte, als suchte er einen Ausweg, und stützte sich auf das Fensterbrett. Er starrte in die Nacht. Ohne sich umzudrehen, sagte er: »Muss ich dich darauf hinweisen, dass du mich auch mal betrogen hast?«
»Das ist billig. Und außerdem tangiert deine heimliche Liebschaft meine Arbeit. Ich werde dich vorladen müssen, um deine Aussage zu Protokoll zu nehmen. Sie kommt dann in die Akte, die jeder in meinem Team kennen muss, bis hin zur Staatsanwaltschaft.«
»Das sind Äußerlichkeiten. Es würde keine große Bedeutung haben, wenn wir uns verzeihen könnten.«
Sie ließ sich auf den Stuhl am Küchentisch sinken und sah die Fotos vor Augen, die Scholli am Brunnenrand von der Toten gemacht hatte, und sie erinnerte sich, wie Posch sie gefragt hatte, ob er den Fötus herausschneiden solle. Sie hatte darauf verzichtet. Der grobschlächtige Heiliger hatte viel Platz für einen rücksichtsvollen und zärtlichen Mann wie Ralf gelassen. Eine Konstellation mit einer fast zwingenden Dynamik.
Sie konnte nicht anders, sie musste ihm die Frage noch einmal stellen: »Würdest du es auch getan haben, wenn du gewusst hättest, dass es unsere Beziehung
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