Im Herzen Rein
Keller flammte an, die Klappe wurde aufgerissen, und seine braunen Schuhe erschienen. Ängstlich klebte sie in der Ecke wie eine Fliege im Netz der Spinne.
Sie zuckte zusammen, als er das Glas aus seiner Hand von oben auf den Steinboden des Kellers fallen ließ.
Geh weg, dachte sie. Komm nicht näher! Löse dich auf! Bitte sei ein Traum!
Sie schlüpfte aus dem Winkel und sprang aus dem Käfig, dessen Tür sich wie von Geisterhand geöffnet hatte, und stieß einen Schmerzensschrei aus, als sie in das zersprungene Glas trat und ein Splitter sich in ihre nackte Fußsohle bohrte.
Sie flüchtete in die äußerste Ecke des Kellers. Bei jedem Schritt zuckte sie zusammen. Wenn sie sich nicht bewegte, um ihn zu beobachten, stand ihr Fuß sofort in einer kleinen Blutlache.
Verhalte dich ganz ruhig, dachte sie. Vielleicht hat er vergessen, dass es dich gibt. Vielleicht will er nur einen Eimer aus dem Keller holen.
Dann fiel ihr das Blut ein. Sie hinterließ eine Blutspur. Und plötzlich hörte sie auch seine Schritte, das Geräusch von Schuhsohlen auf dem Stein und den Glassplittern. Die Schritte folgten ihren blutigen Fußspuren, die vor dem Käfig begannen.
Sie dachte daran, wie die Taubenfrau gestorben war, mit dem Nadelstich ins Herz, und ebenso die Kinogängerin. Die hatte er vorher noch vergewaltigt und mit Strom gefoltert. Wie ein Tier ging er voran, nichts konnte ihn aufhalten.
Er rief ihren Namen.
Sie humpelte in die andere Ecke hinter dem Käfig. Mit den Händen tastete sie sich an der Wand entlang, als könnte sie dort eine Öffnung finden.
Wie kann ich diese Qualen abkürzen?, fragte sie sich.
Der Glassplitter bohrte sich tiefer in ihre Sohle. Sie blickte sich um; er kam näher.
Es war nicht mehr weit bis zur hintersten Wand, und vorsichtig setzte sie einen Fuß vor den anderen, um verzweifelt ihrem Mörder zu entkommen, der sie gleich packen würde.
Dann dachte sie: mein Handy . Aber sie wusste nicht einmal, wo die Kleider waren, die sie getragen hatte, als sie hierherkam.
Sie stürzte, ignorierte die Schmerzen in ihrem Fuß und kroch weiter. Ihr Atem war hastig, ihr Puls jagte.
Langsam schlossen sich seine Finger um ihre Hüfte. Er zog sie hoch, stellte sie auf die Füße und drehte sie zu sich. Ihr Blick ging an die Decke, wanderte bis zur Treppe, die Wand entlang, sprang schließlich in sein Gesicht.
»Der schmerzfreieste Weg ist, wenn du genau das tust, was ich dir sage.« Er lächelte. »Wenn ich dir zum Beispiel sage, lege dich hin und empfange mich.«
Will er nur mit mir schlafen? Der Gedanke ließ sie hoffen.
»Oder ich sage, beiß dir die Spitze deiner Zunge ab.«
57
Die Leuchtziffern des Weckers zeigten halb sechs.
Wo war sie? Sie hob den Kopf und sah sich um. Ralf war nicht da. Sie sackte stöhnend wieder in die Kissen. Sie hatte ihn rausgeschmissen und die Wohnung so gut wie möglich von seinen Spuren befreit. Dann hatte sie sich ein Glas Rotwein eingeschenkt, mit dem sie sich vor den Fernseher setzte, ohne ihn anzustellen. Doch sie ließ das volle Glas stehen und nahm lieber ein heißes Bad, um alles Gift auszuschwitzen. Dann hatte sie sich kräftig frottiert, über einen Schlafanzug noch ihren Jogginganzug angezogen und sich ins Bett gelegt. Sie fühlte, wie Verletzung, Kränkung und Enttäuschung in ihr rumorten. Sie schwitzte, bis sie, schwer wie ein Stein, in den Schlaf fiel. In ihren Morgenträumen lief sie dem Mörder hinterher, kam ihm aber nicht näher. Sie rannte an einem Scheiterhaufen vorbei, auf dem eine Frauenleiche verkohlte, und wollte anhalten, um nachzuschauen, ob es Chris war. Doch in dem Moment drehte sich der Mörder um und starrte sie an. Es war Ralf.
Im nächsten Augenblick war sie aufgewacht, ihr Herz hämmerte gegen die Rippen, und sie war schweißnass. Sogar der Jogginganzug war durchgeschwitzt. Sie hatte ein lautes Kratzen gehört. Kasimir? Nein, er war tot. Sie hatte angestrengt gelauscht, und dann hatte sie gehört, dass die Geräusche aus der Wohnung über ihr kamen. Der Wecker zeigte inzwischen 5.40 Uhr. Sie hievte sich aus dem Bett, zog die nassen Sachen aus und tastete im Dunkeln nach dem Bademantel. Sie fror. Im Flur schaltete sie das Licht ein und ging in die Küche, um Tee zu machen.
Es fiel ihr schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Der Mann, mit dem sie seit vielen Jahren zusammenlebte, hatte sie betrogen und war nun durch diesen Betrug in den Mordfall verwickelt, den sie bearbeitete. Sie trank einen Schluck Tee. Sie hätte gern mit jemandem
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