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Im Herzen Rein

Im Herzen Rein

Titel: Im Herzen Rein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Vanoni
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beendet?«
    Sie hörte, wie er Atem holte, als setzte er dazu an, das zu verneinen, doch dann stieß er die Luft wieder aus, ohne ein Wort zu sagen.
    Er stand reglos da, mit gesenktem Blick, und hielt sich am Fensterbrett fest. Sekunden verstrichen in angespanntem Schweigen.
    Hatte sie ihn je gekannt? Hatte er je gewusst, wie sie empfand, wie sie dachte und wer sie war? Leise sagte sie: »Ich denke, du solltest jetzt gehen.«
    Er hob den Blick. »Wohin?«
    »Wenn du es nicht weißt, gehe ich.«
    Er richtete sich auf. »Nein, nein, ist schon okay.« Er zögerte, es fiel ihm sichtlich schwer. Es war klar, er wollte Versöhnung. »Aber morgen muss ich hier wieder rein.«
    »Ja, ab acht. Wenn ich gegangen bin.«
    Er ging zur Tür und drehte sich noch einmal um. »Es tut mir leid. Ich bitte dich um Verzeihung. Es tut mir wirklich leid.«
    Sie sah ihn an. »Mir auch, Ralf.«
    Als er auf dem Flur war, rief sie: »Kannst du morgen um elf in der Keithstraße sein?« Sie hörte, dass er stehen blieb.
    »Soll ich einen Anwalt mitbringen?« Seine Stimme bebte.
    »Das musst du wissen.«
    Sie hatte erwartet, dass er nun die Tür knallen würde, aber es blieb mucksmäuschenstill.
    Ihr Magen zog sich zusammen, auch ihr Herz, und sie musste der Versuchung widerstehen, ihn zurückzurufen.
    Nach einer Weile ging sie in den Flur, um zu schauen, ob er gegangen war, weil sie die Wohnungstür nicht gehört hatte. Sie schaute ins Schlafzimmer, Wohnzimmer, Bad, auch ins Gästezimmer. Er musste schon weg sein.
    Leise ging sie zur Wohnungstür und warf einen Blick ins Treppenhaus. Niemand war dort, sie hörte nicht einmal Schritte. Sie schloss die Tür, verriegelte sie von innen und hängte die Kette vor. Ihre Hände zitterten, und als sie durch die Wohnung ging, kam ihr alles fremd vor. Und kein Kasimir, der ihr um die Beine strich.
    Sie ging ins Schlafzimmer, brachte Ralfs Sachen ins Gästezimmer und bezog das Bett frisch. Dann sammelte sie im Bad seine Handtücher ein und steckte alles in die Waschmaschine. Sie warf das halb fertige Essen in den Mülleimer und räumte die Küche auf. Den Cocktail-Shaker wusch sie ab und brachte ihn auch ins Gästezimmer, wo schon sein Rasierzeug und seine anderen Sachen aus dem Bad lagen.
    Als sie sich ins Wohnzimmer setzte, hatte sie alle Bereiche der Wohnung, in der sie sich bis morgen früh zu Dienstbeginn aufhalten würde, von Ralfs Spuren gereinigt.

56
    Steif und halb erfroren lag Chris auf der Pritsche. Es war eiskalt hier unten im Keller, und da hatten die zwei Decken nicht gereicht, zumal sie eine unterlegen musste, weil es sonst zu hart gewesen wäre. Sie hatte es erst anders versucht, aber schon bald schmerzten ihre Schultern und Hüften.
    Sie hatte fürchterliche Träume gehabt, doch ihre Angst, als sie wach wurde, war noch schrecklicher. Sie war von einem Geräusch aufgewacht, und im ersten Moment wusste sie nicht, ob es aus ihren Träumen kam. Aber da war es wieder - ein Geräusch, als ob etwas schnell über den Boden rutschte. Ein Tier? Oder ihr Kidnapper?
    Sie sah nichts, es war stockfinster. Sie zog ihre Knie an, um zu prüfen, ob sie sich noch bewegen konnte. Dann setzte sie ihre nackten Füße auf den Steinboden, erhob sich leise, tastete sich bis zu den Stäben und kroch in eine Ecke, als könnte sie sich dort verstecken. Möglichst leise atmend blieb sie dort hocken.
    Doch dann hörte sie es - ein Mann schlich die Treppenstufen herunter. Aber das konnte nicht sein, er hätte ja vorher die Klappe öffnen müssen, und Licht wäre hereingefallen. Vielleicht war der Strom im ganzen Gebäude ausgefallen. Dann könnte die Dunkelheit sie zwar schützen, doch er würde wissen, wo sie sich versteckte.
    Was war es, das da auf leisen Sohlen näher kam?
    Chris kroch noch weiter zurück, sie presste ihren Rücken gegen die Gitterstäbe.
    Sie versuchte zu begreifen, dass sie keine Chance mehr hatte. Sie hatte die Obduktionen ihrer Vorgängerinnen gesehen, und Posch hatte die Folter angedeutet. Wäre es besser, Abschied zu nehmen und auf den Tod zuzugehen, anstatt das Rauschen des eigenen Blutes wie einen Angriff des Ungeheuers zu erleiden? Aber wie sollte sie sich auf die Schmerzen einstellen, wenn sie sich nicht vorstellen konnte, wie sie sich anfühlen würden?
    Sie kniff sich in die Brustwarzen, um das bevorstehende Leiden zu erahnen. Aber das, was kommen würde, war jenseits dessen, was sie kannte. Es blieb unvorstellbar.
    Es verging noch unendlich viel Zeit, bis er wirklich kam.
    Das Licht im

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