Im Herzen Rein
es Paula.
Aber wo ist er?
Sie sah ihn nicht.
Er hat sie umgebracht und ist geflohen.
Die Waffe im Anschlag, machte sie ein paar vorsichtige Schritte. Dann sah sie ihn. Er lag hingestreckt auf dem Boden, mit dem Gesicht in einer Blutlache.
Sie hatte den Kopf getroffen. Aber war er wirklich tot? Achtsam näherte sie sich, hockte sich hinter seinen Kopf und drückte ihm die Pistole auf den Scheitel. Aber er bewegte sich nicht. Er war tot.
Sie ließ die Waffe fallen und rannte zu Chris.
Sie saß immer noch bewegungslos. Ihr Mund war verklebt. Neben ihr stand eine große Gasflasche mit Schweißgerät und Stromkabeln, die mit Metallstücken verbunden waren. Paula rannte zu dem Rollschrank, griff ein Küchenmesser und lief zu Chris, um die Fesseln zu zerschneiden. Chris sah sie mit weit aufgerissenen Augen an, als ob sie der Killer wäre, der sie umbringen wollte. Sie lebte!
»Ich bin’s, Paula. Erkennst du mich?«
Ein undefinierbares Stöhnen.
Paula fasste mit der Linken den Arm der Freundin und zerschnitt mit der Rechten vorsichtig die Stricke. Dann streichelte sie sanft ihre Wange. »Ich bin’s, Paula.« Chris starrte vor sich hin. Ihre Augen waren stumpf, als ob das Leben in ihr erloschen war. Paula bewegte vorsichtig ihre Arme und legte sie um ihren Oberkörper, damit sie sich an ihr festhalten konnte. Dann griff sie ihr unter die Achseln und zog sie hoch. Endlich reagierte Chris. Sie hielt sich an ihr fest.
Paula hielt sie fest an sich gedrückt. »Es ist alles vorbei«, flüsterte sie. »Es ist alles gut.« Dabei streichelte sie ihr beruhigend den bebenden Rücken. Chris liefen lautlos die Tränen über das Gesicht.
Paula sprach weiter auf sie ein. Langsam schien sich ihre Verkrampfung zu lösen. Sie legte ihren Kopf an Paulas Schulter, und die Tränen liefen weiter. Dann hob sie ihren Kopf und schluchzte, als ob sie hastig nach Luft schnappte. Stockend sagte sie: »Das überleb ich nicht.«
»Du hast es überlebt«, sagte Paula besänftigend. »Du hast überlebt. Du lebst.« Paula atmete tief durch. »Du lebst!«, schrie sie laut. Dann lachte sie los, wollte sich ihre Anspannung herauslachen. Chris’ schluchzendes Weinen mischte sich jetzt auch mit Lachen.
Sie hörten das Dröhnen des Hubschraubers, der vor der Halle landete.
Sie lachten und weinten gleichzeitig.
Und neben ihnen lag Bach in seiner Blutlache tot auf dem Boden.
EPILOG
An dem Tag, als Chris aus dem Krankenhaus entlassen wurde, fuhr Ralf zur Eröffnung seiner Einzelausstellung nach Zürich, seinem Entree in die europäische Kunstszene. Paula war froh, dass die Vernissage gerade jetzt stattfand.
Seine offizielle Vernehmung, die ihm unter die Haut gegangen war, mit seinem Geständnis vor Marius und Justus, Paula betrogen zu haben, und dem Verdacht, irgendwie in ein Verbrechen verwickelt gewesen zu sein - das alles hatte Ralf zugesetzt.
Seine erste Reaktion war, sich von Paula zu trennen, die ihm diese Vernehmung zugemutet hatte. Aber dann merkte er, wie sehr er sie liebte und dass er sich unmöglich trennen konnte.
Paula war es erst einmal darum gegangen, alle Missverständnisse zu klären, um dann herauszufinden, wie sie nach allem zu Ralf stand. Es war ihre Pflicht gewesen, ihn offiziell zu befragen: Sie hatte ihren Beobachtungen und den Indizien nachgehen müssen.
Geblieben waren die Verletzungen, Enttäuschungen und ihre Traurigkeit. Darüber hinaus erinnerte sie sich, wie die Liebe sie zusammengeführt hatte und all die Jahre hatte zusammenleben lassen. Es ging darum, sich gegenseitig zu verzeihen. Und das wollte sie - ihm verzeihen. Sie wollte ihm von Jonas erzählen, später, aber jetzt wusste sie nicht, wie sie ihm dieses fast unwirkliche Erlebnis hätte verständlich machen sollen. Sie hatte es versucht, als sie mit ihm darüber sprach, dass sie ausziehen würde. Doch schon das hatte ihn sehr getroffen, und er wollte es nicht. Er wollte auf jeden Fall in der Wohnung bleiben, weil er dort gut malen konnte und mehr Inspirationen hatte als in seinem Atelier, auch weil die Räume mit dem Mobiliar die Vorlage für seine Stillleben waren. Paula schlug ihm vor, das Atelier aufzugeben und wieder in der Wohnung zu malen. Ohne sie hätte er dann genügend Platz.
Sie wollte sich jetzt erst einmal eine neue Wohnung suchen. Sie brauchte frischen Wind in ihrem Leben und den richtigen Abstand zu Ralf. Und sie wollte endlich ein paar Pfund abnehmen.
Die letzte Nacht war seltsam. Sie hätte am liebsten allein geschlafen, aber nach den
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