Im Herzen Rein
auftun konnte.
Der Kellner brachte das Mineralwasser für Chris. »Der Kaffee kommt gleich.«
»Hast du mal überlegt, was ist, wenn wir diesen Fall nicht aufklären?«, fragte Paula, nachdem der erste Hunger gestillt war.
»Das stelle ich mir nicht vor«, wehrte Chris entschieden ab. »Wir werden den Täter überführen.«
»Bisher habe ich meine Fälle alle gelöst.«
»Deswegen habe ich dich hergebeten. Deinem Vertreter traue ich nicht so viel zu.«
»Die Presse wird von Anfang an Lärm machen. Das könnte dich enervieren.«
»Ich bin keine Berufsanfängerin, Paula.«
»In unserer Abteilung ist das anders als in deiner vorigen.«
»Schon klar. - Wie war es denn im Urlaub?«
»Herrlich. Ein süßes Hotel. Wunderschön und direkt am Meer. Immer das Meer vor Augen. Horizontgucken ist für mich die größte Erholung. Berge sind nichts für mich. Da habe ich immer das Gefühl, die müsste ich erst mal wegschieben.«
Chris lächelte. »Eine Steilabfahrt im Pulverschnee ist aber auch herrlich.«
Der Kellner brachte den Kaffee.
»Beschreib mal, was du genau am Tatort gesehen hast, als du ankamst und dann vor der Toten standest.«
»Zunächst war schon ein ziemlicher Menschenauflauf dort. Ich näherte mich von der Wiese her, stieg über das Absperrband. Auf der Bank sah ich mit dem Rücken zu mir eine Frau im blauen Kleid sitzen, und zwischen mir und der Bank lag ein Körper, eine Frau, die ich erst für das Opfer gehalten habe. Wie sich dann aber herausstellte, war das eine volltrunkene Obdachlose. Ich ging um die Bank herum und wunderte mich über diese Frau, die da auf der Bank saß und Tauben fütterte. Aber dann habe ich ihr ins Gesicht geschaut und ihre glasigen toten Augen gesehen. Außerdem bewegten sich die Tauben nicht, ich wusste also, es waren Attrappen. Dennoch, es war wirklich spooky - die Frau hatte ihren Arm ausgestreckt, als würde sie wirklich Tauben füttern. In dem Moment dachte ich ja auch noch, die Leiche ist die Frau da auf der Erde hinter der Bank. Ich realisierte erst, dass die Frau tot war, als ich ganz nah war und ihr direkt ins Gesicht schaute. Den anderen ist es auch so gegangen. Kennst du das: Du siehst etwas und glaubst es nicht und musst noch mal hinsehen, um es zu glauben?«
»Ja«, sagte Paula zögernd, »aber nicht bei der Arbeit.«
»Also, die Frau sah aus, als ob sie nur in der Bewegung innehält, so natürlich und lebendig.«
»Auf dem Tisch sah sie unnatürlich und ziemlich tot aus.«
Chris sah Paula an. »Ich dachte, dich interessiert, was ich am Tatort gesehen habe.«
»Ja, natürlich. Sehr sogar«, beschwichtigte Paula.
»Als ich dann vor ihr stand, habe ich ihre glasigen Augen gesehen. Was grotesk aussah, denn es schien so, als ob sie sich gleich bewegen würde. Sie war ja auch nicht bleich wie eine Leiche. Die sind doch sonst bleich, oder?«
»Ja. Die Frau war geschminkt.«
»Das habe ich Posch auch sagen hören. Am Tatort habe ich es nicht gesehen.«
Sie hat halt keine Erfahrung, dachte Paula. »Aber die Tauben müssen doch künstlich ausgesehen haben.«
»Überhaupt nicht. Zwar auch in der Bewegung erstarrt, aber echt. Mit echten Federn, alles echt. Und in unterschiedlichen Bewegungen erstarrt. Wie bei einem Schnappschuss. Du wirst es auf den Fotos sehen.«
»Wirklich schade, dass ich nicht am Tatort war. Ich werde mir die Fotos morgen ansehen.«
»Und dann stand noch ein Kaffeebecher neben der Frau. Wie bei jemandem, der sich zu einer Pause hingesetzt hat. Coffee to go stand auf dem Becher.«
»Der Becher hat wahrscheinlich schon dort gestanden. Ein Mörder wird kaum einen Kaffeebecher neben seine Leiche stellen.«
»Die Tauben hat er auch arrangiert.«
»Die passen zur Haltung der Frau. Aber der Becher? - Was für Schuhe hatte die Frau an?«
»Schwarze Schuhe mit Absätzen.«
»Und wie sah das Kleid aus?«
»Blau. Du hast es doch bei Posch gesehen.«
»Ja, schon, aber nicht angezogen. Du lässt dir alles aus der Nase ziehen.«
»Ein schmales blaues Kleid, durchgeknöpft. Nicht sehr modisch, eher klassisch.«
»Wie ging es dir beim Anblick deiner ersten Leiche? Darüber hast du noch gar nichts gesagt. War es ein Schock?«
»Nö. Nur seltsam in dieser Szene. Und es gab noch einen Jogger, der einfach über die Absperrung gesprungen ist und mir seine Visitenkarte zugesteckt hat. Das war auch merkwürdig.«
Für Paula nicht. Sie hatte schon mehrfach erlebt, dass Wichtigtuer in den Sperrbezirk eindrangen. Das war für sie nicht
Weitere Kostenlose Bücher