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Im Herzen Rein

Im Herzen Rein

Titel: Im Herzen Rein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Vanoni
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außergewöhnlich. Ein Mann war einmal immer wieder über das Absperrband gesprungen, und Tommi hatte ihn kurzerhand mit Handschellen an einen Laternenpfahl gekettet. Der Bursche hatte ihr natürlich keine Visitenkarte zugesteckt. Aber wenn man so attraktiv war wie Chris? Paula dachte, dass selbst Ralf, der kein Fan von Chris war, gesagt hatte, er könne sich kaum einen Typen vorstellen, der bei ihr Nein sagen würde. »Männer stecken dir doch öfter ihre Karten zu - beim Verlassen des Flugzeugs, in der Hotellobby, und sogar von Auto zu Auto bei Rot an der Ampel - mit dem Spruch, dass sie dir etwas Wichtiges sagen müssen.«
    Chris hätte dem zustimmen und darüber lachen können. Sie saß aber da, als wäre es ein Problem, über das man nachdenken sollte. Paula hatte generell nicht die größte Geduld mit Anfängern, aber ehrgeizige Anfänger, die sich mit Nichtigkeiten aufhielten, machten sie ungeduldig. »Wie wirkte der Jogger auf dich?«
    »Aggressiv und provozierend. So um die vierzig, groß und sportlich.«
    »Steht ein Beruf auf der Karte?«
    »Nein.«
    »Trägt beim Joggen Visitenkarten mit sich rum - was folgern wir daraus?«, spöttelte Paula.
    Chris zuckte die Schultern. »Geltungssucht?« »Auf jeden Fall ist es ungewöhnlich.«
    Chris nickte. Paula betrachtete sie, wie sie so ernst dasaß, und wechselte das Thema. »Kennst du diesen Bach näher?«
    »Ich kenne ihn aus meiner Studienzeit. Ein Glücksfall, dass er mir gerade gestern über den Weg gelaufen ist«, sagte sie. »Er ist die Autorität als Profiler.«
    Paula hatte ihn im Fernsehen gesehen, ein smarter, gelassener Typ. Wahrscheinlich hatte er sich diese Nonchalance in den USA zugelegt, als er beim FBI tätig gewesen war. »Und was hat er mit Posch zu tun?«
    »Sie haben zusammen studiert.«
    »Wieso habt ihr über den Fall gesprochen?«
    »Ich kam direkt vom Tatort und habe ihm von meiner ersten Toten erzählt.«
    »Und? Was hat er gesagt?«
    »Es werde nicht bei dem einen Mord bleiben.«
    Paula lachte. »Die alte Geschichte: Frag einen Zahnarzt, und er wird dir sagen, deine Zähne müssen gemacht werden. Frag einen Onkologen, und er wird dir sagen, es könnte Anzeichen von Krebs geben. Frag einen Profiler, und er wird dir sagen, es ist ein Serienkiller.«
    Chris reagierte nicht auf den Witz. »Jedenfalls habe ich deine Teammitglieder kennengelernt. Sie sind sehr nett.«
    »Stell dir vor, ich freue mich sogar, sie morgen wiederzusehen. - Und was hast du dann gemacht? Hast du noch mit einem von ihnen gesprochen?«
    »Nein. Ich bin ins Büro gegangen und habe mit Posch telefoniert. Dann bin ich noch nach Haus gefahren, bevor ich dich abgeholt habe, und hab ein bisschen auf dem Balkon gesessen. Die Sonne war so schön.«
    Während sie bezahlten, dachte Chris an den Peiniger von Vilma del Fuente, der sie nach der Urteilsverkündung bedroht hatte und der wieder auf freiem Fuß war. Das hatte sie bereits recherchiert. Aber sie konnte Paula nicht um seine Überprüfung bitten, ohne ihr von ihren Ängsten zu erzählen. Sie konnte ihr nicht alles offenbaren. Sie würde sie für verrückt halten, zumindest für ungeeignet in der Mordkommission. Und das wäre ungut für ihre erste Zusammenarbeit. Bestimmt würde sich sowieso bald alles in Luft auflösen, dann könnte sie ihr immer noch davon erzählen, und sie würden gemeinsam darüber lachen. Auch unter Freundinnen war es wichtig, den richtigen Zeitpunkt zu wählen.
    Chris’ Auto stand noch bei der Charité. Sie stiegen in eine Taxe und nannten ihr Ziel. Der Fahrer fuhr nicht sofort los, sondern nahm einen Kaffeebecher mit Plastikdeckel und der Aufschrift Coffee to go vom Beifahrersitz und nippte daran.
    »Was ist das denn?«, fragte Chris leicht überreizt.
    »Eine Latte macchiato«, sagte der Fahrer. »Ich fahr schon seit heute Morgen.«
    Chris war froh, dass sie nicht über ihre Ängste gesprochen hatte, denn Paula würde jetzt sagen: Da siehst du, überall gibt’s diese Becher.
    Nachdem der Taxifahrer Paulas Koffer im Wohnungsflur abgesetzt und mit einem mürrischen »’n Abend« die Tür hinter sich zugezogen hatte, stand sie im Dunkeln und fühlte sich einsam. Trotz der späten Stunde ging sie noch zur Nachbarin, um ihren Kater abzuholen. Er schnurrte, Paula nahm ihn auf den Arm und schmiegte sich an ihn. Sie füllte seinen Fressnapf, setzte sich auf den Stuhl und beobachtete, wie er gierig sein Trockenfutter verschlang.
    Langsam entspannte sie sich und versuchte, die Situation so hinzunehmen,

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