Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Herzen Rein

Im Herzen Rein

Titel: Im Herzen Rein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Vanoni
Vom Netzwerk:
wie sie war. Am meisten Widerstand spürte sie, wenn sie an Chris’ Beschreibung der Toten dachte. Tote würden für sie nun alltäglich sein. Wollte sie also jedes Mal so ein Aufhebens machen?
    Sie sah immer wieder, wie Chris mit ihrem Gesicht der Toten ganz nahe kam, fast Nase an Nase, um etwas festzustellen. Was? Dass sie tot war? Seltsam .

10
    Paula erwachte, weil Kasimir auf ihr Bett gesprungen war und schnurrend nach seinem Platz suchte. Er tapste ein paarmal über sie hinweg und legte sich schließlich auf Ralfs Kopfkissen.
    Während sie den Kater streichelte, überlegte sie, was sie geträumt hatte. Es war irgendein krudes Zeug, das mit Chris zu tun hatte, aber es fiel ihr nicht mehr ein. In den vier Jahren, die sie sich nun kannten, war eine Freundschaft entstanden. Sie mochte diese Frau, auch, weil sie anders war als sie selbst. Chris hatte noch nie eine feste Beziehung gehabt, sondern immer wechselnde Affären, die sie beendete, wenn die Männer ihr zu nah kamen. So sah Paula es jedenfalls und schloss daraus, dass Chris Beziehungsängste hatte. Die Freundin protestierte dagegen, denn sie sah es als Stärke, dass sie den Alltag nicht mit einem Mann teilen musste. Sie hatte ihr Leben im Griff und brauchte keinen Typen zum Anlehnen. So sah sie es. Sie wollte Frische und Leidenschaft und sich darin immer wieder neu entdecken. Deswegen machte sie sich auch gern mal lustig über Paulas Beziehung. Chris empfand Lebensgemeinschaften wie stehende Gewässer, die Beweglichkeit und Vorankommen im Beruf hemmten. Jedenfalls für die Frau. Sie war ehrgeizig und wollte ihrem Vater gefallen. In Paulas Augen war das die stabile Männerbeziehung in Chris’ Leben. Chris lachte, wenn Paula das sagte, und meinte, sie habe das Glück, eine gute Vaterbeziehung zu haben, die sie stark und selbstständig gemacht hatte.
    Stark und selbstständig war sie, woher sie es auch immer hatte, und das war sicher auch ein Grund, weshalb die Gespräche mit ihr so interessant waren - gleichgültig ob über die Eltern, die Kollegen oder die Männer. Aber nun arbeiteten sie das erste Mal zusammen, und Paula war diese Verknüpfung von Privatem und Beruflichem unbehaglich. Als Freundin wollte sie ihr nahe sein, aber als Kommissarin musste sie sich von der Staatsanwältin abgrenzen.
    Es war ohnehin selten, dass eine Freundschaft über die hierarchischen Schranken hinweg funktionierte. Paula kannte kein Beispiel.
    Chris gab nicht zu, dass ihr die Arbeit an einem Mordfall Probleme machte - es fing schon an, kompliziert zu werden. Aber Paula kannte sie viel zu gut, als dass ihr das entgehen konnte. Sie spürte, dass der Druck Chris zu schaffen machte. Sie war anders als sonst. Da hätte sie über diesen blöden Jogger mit seiner Visitenkarte gelacht. Doch plötzlich klang eine berufliche Seite an, die Paula fremd war. Nicht dissonant, aber fremd. Vielleicht war Chris in ihrer Arbeit ja immer so ernst und genau. Vielleicht war gerade das der Ehrgeiz, über den beide bislang nur Witze gemacht hatten, den sie nun aber womöglich zu spüren bekam. Es war schon ziemlich übertrieben, nur dem Leiter der Gerichtsmedizin die Obduktion anzuvertrauen. Aber vielleicht war sie zu ungeduldig mit Chris, vielleicht gerade weil sie ihre Freundin war. Mit einer fremden Staatsanwältin als Neuling in der Abteilung wäre sie vermutlich geduldiger gewesen. Sie würde sich noch einmal mit ihr treffen, damit sich nicht gleich am Anfang eine Missstimmung einschlich.
     
    Sie ging durch den Haupteingang ihrer Dienststelle in der Keithstraße. Über dem Eingang reckten sich zwei Jünglingspaare, die auf den Köpfen jeweils eine Schale voller Blumen und ein Gefäß mit Früchten trugen. Sie schmunzelte, als sie daran dachte, wie wohl sich Chris hier fühlen würde, umgeben von starken jungen Männern. Der Pförtner winkte ihr zu und rief etwas von Urlaub und guter Laune. Sie nickte ihm freundlich zu und spürte, wie gern sie in dieses schöne alte Gebäude zurückkam. Die Decke in der hohen Halle hatte Kassetten in Lindgrün, Orange und Gelb, mit violetten Sternen in der Mitte. Die Marmortreppen rechts und links wurden auf beiden Seiten von Säulen mit Kapitellen und farbenprächtigen Akanthusblättern flankiert.
    Als sie die breiten Stufen hinaufging, sah sie, wie Tommi aus dem Sitzungsraum lugte, schnell den Kopf zurückzog und die Tür schloss. Tommis Kinderspiele.
    Sie ging nicht erst in ihr Büro, sondern gleich ins Sitzungszimmer. Als sie die Tür aufmachte, stand das

Weitere Kostenlose Bücher