Im Heu oder im Bett
für Antiquitäten, die sich zuvor deutlich auf ihrem Gesicht abgezeichnet hatte, war verschwunden. Dass er sich den Wandel nicht erklären konnte, machte ihn neugierig.
„Ich besitze keine Erbstücke. Es sind Sachen, die ich im Lauf der Jahre erstanden habe.”
Jem sah von dem bunten Bild auf, das er mittlerweile malte. „Was sind Erbstücke?”
„Sachen, die von Großeltern an Eltern und von Eltern an Kinder weitergegeben werden”, erklärte Lauren.
Jem schien einen Moment darüber nachzudenken. Dann sagte er zu Cole: „Mom hat keine Erbstücke. Sie hat nur mich. Und Grandma Sherry.” Er sah Cole ernst an. „Und ich bin adoptiert. Weißt du, was das ist?”
Irgendetwas schien Cole fast die Kehle zuzuschnüren.
„Adoptiert? Ich denke schon, Jem. Aber vielleicht kannst du es mir erklären.”
„Nun, Mom und Dad konnten nicht für mich sorgen. Dann habe ich meine Mom bekommen. Und jetzt bin ich Jem Simpson”, meinte er stolz, als seine Mutter sich zu ihm beugte und ihm einen Kuss auf seine verwuschelten Locken drückte.
Als Cole beobachtete, wie liebevoll Lauren und Jem miteinander umgingen, wurde seine innere Anspannung immer größer. „Dann müsst ihr sehr glücklich sein, dass ihr euch gefunden habt”, sagte er mit seltsam fremd klingender Stimme.
Lauren, die ihn anlächelte, standen Tränen in den Augen. „Ja, das sind wir.” Er unterdrückte seine erneut aufsteigenden Schuldgefühle und erwiderte ihr Lächeln.
In dem Moment hatte Jem sein Bild fertig gemalt und gab es Lauren, die es ausgiebig bewunderte. „Ein weiteres Meisterstück für den Kühlschrank”, lobte sie.
„Kannst du Fische fangen?” wechselte Jem dann so abrupt das Thema, wie nur Kinder es können.
„Sicher doch.”
„Mom und ich haben einmal geangelt.” Er blickte Lauren ins Gesicht. „Weißt du noch?”
„Ja.” Sie schüttelte sich. „Würmer!”
Jem und Cole sahen sich an, bevor Cole mit den Schultern zuckte. „Frauen”, sagte er nur.
Und dann schütteten sich beide aus vor Lachen.
Lauren verschränkte die Arme. „Lacht nur. Würmer sind einfach ekelhaft.”
„Vielleicht gehen wir einmal gemeinsam angeln. Ich werde die Köder anbringen, das verspreche ich.” Augenblicklich wünschte Cole, er könnte die Worte ungesagt machen.
Nachdem sich das Durcheinander geklärt hätte, würde er Lauren wahrscheinlich nie wieder sehen.
„Ich habe Senkgewichte”, erklärte Jem voller Vorfreude auf einen zukünftigen Angeltrip.
„Jemand hat sie am Bach liegen lassen.” Er begann in seinem Rucksack zu wühlen.
Cole schaute Lauren fragend an.
„Jem trägt seine wichtigsten Dinge gern bei sich”, erklärte sie. „Er hatte sie immer in seinen Taschen, was der Waschmaschine gar nicht gut getan hat.” Jem holte eine Zigarrenkiste hervor. „Jetzt verstaut er alles in dieser Schachtel.” Sie zerzauste ihrem Sohn die Haare. „Ich fürchte, die Sammelwut hat er sich von mir abgeschaut.”
Der Junge öffnete sorgsam die Kiste und holte einen Schatz nach dem anderen heraus, klärte Cole ausführlich darüber auf und verstaute die Sachen wieder. Cole sah Nüsse, Muscheln, Bindfäden, Murmeln, Steine, Schneckenhäuser, Baseballkarten, Sticker und Stifte, bevor ihm Jem schließlich ein dünnes Perlenarmband aus Türkisen und Bernsteinen zeigte.
Cole erstarrte, als der Junge das Armband umlegte. Auf einem kleinen Anhänger waren die Initialen „K.T.” eingraviert. „Als Mom und Dad gegangen sind, haben sie das hier vergessen.”
Jems Stimme klang unbeteiligt, und Cole strengte sich an, ein interessiertes und fröhliches Gesicht zu machen, obwohl ihn ein furchtbarer Schmerz erfasste.
Es bestand kein Zweifel: Der Junge ihm gegenüber hielt das Armband in der Hand, das er, Cole, Kelly zu ihrem fünfundzwanzigsten Geburtstag geschenkt hatte. Jem war sein Sohn.
4. KAPITEL
Cole hatte den Kopf in die Hände gestützt und saß auf dem Dachboden der Scheune. Durch das offene Fenster drangen das nächtliche Zirpen der Grillen und das leise Rauschen der Bäume herein. Laurens Skizzen lagen verstreut auf dem improvisierten Sperrholztisch vor ihm.
Jem ist mein Sohn, dachte er. Als er den Jungen nur ein paar Stunden zuvor über den Tisch des „Frosty King” hinweg angesehen hatte, hatte er alles andere einen Moment lang völlig vergessen. Für ihn hatte nur noch Jem existiert. Am liebsten wäre er aufgesprungen und hätte gesagt: „Ich bin dein Dad. Ich habe dich nicht verlassen. Ich werde dich nie verlassen.”
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