Im Himmel mit Ben: Roman (German Edition)
anderen Tiere, doch dann musste er sich schnellstens auf den Rückweg machen. Als er endlich das Ufer erreichte, atmete ich erleichtert auf.
»Hast du gelesen, wie das Schiff hieß?«
»Spinnst du?«, entgegnete ich aufgebracht. »Ich wäre fast gestorben vor Angst um dich! Da werde ich kaum noch eine Lesestunde einlegen.«
Doch Ben grinste nur und drehte das kleine, tropfnasse Tier auf den Rücken. »Es ist ein Kater, guck doch mal. Ich will ihn behalten. Und er soll Caruso heißen, so wie das Schiff eben.«
»Und was, wenn dir etwas passiert wäre? Erst mein Vater und dann du …« Bei dem Gedanken, ich könnte Ben auch eines Tages verlieren, fing ich wieder an zu weinen.
»Ich werde immer für dich da sein, Marly«, versprach Ben.
»Und wenn du woanders studierst und wegziehst, was dann?« Ben hatte mir von seinen Plänen erzählt, nach dem Abi erst einmal ins Ausland gehen zu wollen. Den Gedanken fand ich unerträglich.
»Dann treffen wir uns immer an einem Freitag, dem Dreizehnten. Ganz egal, wo wir uns zu diesem Zeitpunkt gerade befinden. Und zwar mindestens einmal im Jahr. Wir besuchen uns abwechselnd, auch wenn wir schon steinalt und grau sind. Was hältst du davon?«
Nicht in allen Ländern ist dieser besondere Freitag ein Unglückstag. In Japan, so erklärte mir Ben damals, bringe dieser Tag sogar Glück. Außerdem sei es ein schöner Gedanke, dass wir beide uns ein Leben lang genau dann treffen würden.
Ich starrte auf das winzige Kätzchen in seinen Händen und beschloss, nicht abergläubisch zu sein. Noch am selben Abend durchforstete ich mehrere abgelaufene Kalender und stellte fest, dass mindestens ein Freitag und maximal drei im Jahr auf einen Dreizehnten fielen. Bei den Mehrfachterminen, so einigten wir uns später, wollten wir für die nächsten zehn Jahre einen Freitag vereinbaren, der möglichst im Sommer liegen sollte.
Nach dem Abi machte Ben eine Reise durch Südamerika, dann ging er nach München, um dort zu studieren. Danach fand er einen Job in Genf, dann ging er auf Brasilienreise, anschließend zog er nach London. Wir sahen uns meistens zu den Feiertagen, wenn Ben seine Eltern in Düsseldorf besuchte. Außerdem telefonierten wir sehr häufig oder schreiben uns Mails. Und Jahr für Jahr freute ich mich auf meinen persönlichen Glückstag – und Ben. Bis er im letzten Jahr zum ersten Mal nicht zu unserem vereinbarten Treffen erschien.
2
Katzenpisse riecht fürchterlich streng
»Eigentlich hätte Ben dich Camus oder Sartre nennen müssen. So verbunden, wie er sich mit den Existenzialisten fühlte.« Vorsichtig strecke ich meine Hand nach Caruso aus. Dabei rechne ich mit einem mir bestens bekannten Fauchen und einem flinken Hieb mit ausgefahrenen Krallen, aber der erwartete Schmerz bleibt aus. Caruso senkt etwas den Kopf und drückt ihn gegen meine Hand. Dann maunzt er auffordernd und legt sich auf den Rücken.
»Du willst doch nicht etwa gestreichelt werden?« Aber so ist es, der Kater lässt sich von mir kraulen. Dabei schnurrt er lautstark, reckt und streckt sich wohlig in die Länge. Das hat er früher nie gemacht. Überrascht über Carusos ungewohntes Vertrauen verwöhne ich ihn ausgiebig mit Streicheleinheiten. Eigentlich kann er persönlich auch gar nichts für meinen Widerwillen. Plötzlich aber richtet sich der Kater auf und blickt konzentriert zur Küchentür, so, als hätte er etwas gehört.
»Glaubst du, Ben kommt zurück?« Aufgewühlt schaue ich mich in der Küche um. Irgendwie habe ich auf einmal das Gefühl, er könnte tatsächlich auch im Raum sein. Aber Ben ist nicht hier, ich bin ganz alleine mit dem Kater, der eindeutig Caruso zu sein scheint, auch wenn er sich von mir streicheln lässt, anstatt mich wie sonst zu kratzen und anzufauchen. Bevor mir wieder die Tränen aufsteigen, stehe ich schnell auf, nehme eine Flasche Milch aus dem Kühlschrank und schütte etwas davon in ein Schüsselchen. Dazu gebe ich eine Handvoll Schokopops.
»Hier, das mochtest du doch immer so gerne«, locke ich den Kater und stelle es ihm auf den Boden. »Fleischpastete oder Thunfischfilets gibt es bei mir leider nicht.«
Caruso bewegt sich nicht. Er sitzt immer noch auf dem Tisch, von wo aus er meine Bewegungen beobachtet.
»Ach ja, ich weiß«, sage ich, »der Herr ist gewohnt, wie ein Mensch zu speisen. Warte, ich serviere dir das Festmahl auf dem Tisch …«
Nur wenige Sekunden später hat der Kater das Schüsselchen ratzekahl leer geputzt. Er streicht sich in aller Ruhe
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