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Im Innern des Wals

Im Innern des Wals

Titel: Im Innern des Wals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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sind.
    Wenn man durch eine Stadt wie diese wandert – 200.000
    Einwohner, von denen wenigstens 20.000 buchstäblich nichts besitzen als die ärmlichen Lumpen, die sie am Leibe tragen -, wenn man sieht, wie diese Leute leben, und erst recht, wie leicht sie sterben, fällt es immer wieder schwer zu glauben, daß die Wesen, die einen umgeben, Menschen sind. Alle Kolonialreiche beruhen in Wirklichkeit auf dieser Tatsache. Die Leute haben braune Gesichter, und es gibt so viele von ihnen. Bestehen sie wirklich aus dem gleichen Fleisch wie man selbst? Haben sie überhaupt Namen? Oder sind sie nur eine braune, gleichförmige
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    Masse, jeder mit soviel eigener Persönlichkeit wie eine Biene oder ein Korallentierchen? Sie kommen aus der Erde, hungern und schinden sich ein paar Jahre und sinken in die namenlosen Gruben der Gräberfelder, ohne daß ihr Verschwinden jemandem auffiele. Und auch ihre Gräber verschwinden und werden mit der Erde eins. Auf einem Spaziergang, bei dem man sich den Weg durch Feigenkakteen bahnen muß, klingt manchmal der
    Boden unter einem hohl, und nur der unregelmäßige Abstand, in dem sich der dumpfe Ton wiederholt, sagt einem, daß man über Skelette wandert.

    Ich fütterte in den öffentlichen Gärten eine der Gazellen.
    Gazellen gehören zu den wenigen Tieren, die schon zu ihren Lebzeiten eßbar aussehen. Beim Anblick ihrer Hinterkeulen fällt es tatsächlich schwer, nicht an Minzsoße zu denken. Die
    Gazelle, die ich fütterte, mochte erraten, daß mir derartige Gedanken durch den Kopf gingen. Sie nahm zwar das Brot, das ich ihr hinhielt, hatte aber offensichtlich eine Abneigung gegen mich. Nachdem sie hastig an dem Brot geknabbert hatte, senkte sie den Kopf und versuchte, mich mit ihren Hörnern zu stoßen.
    Dann knabberte sie ein Stück ab und stieß wieder nach mir.
    Vermutlich stellte sie sich vor, das Brot würde auf
    geheimnisvolle Weise in der Luft hängen bleiben, falls es ihr gelänge, mich zu verjagen.
    In der Nähe machte sich ein arabischer Gartenarbeiter am
    Weg zu schaffen. Nach einer Weile ließ er die schwere Hacke sinken und kam vorsichtig von der Seite auf uns zu. Seine
    Blicke wanderten von der Gazelle zum Brot und vom Brot zur Gazelle, in einer Art von stillem Staunen, als habe er noch nie etwas Ähnliches gesehen.
    Schließlich sagte er leise auf französisch:
    »Das Brot würde ich auch essen mögen. «
    Ich brach ein Stück ab, und er verstaute es dankbar in einer
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    versteckten Tasche seiner zerlumpten Kleidung. Dieser Mann war Angestellter der Städtischen Verwaltungsbehörden.
    Kommt man in das Judenviertel der Stadt, kann man sich
    ungefähr vorstellen, wie die jüdischen Ghettos im Mittelalter ausgesehen haben. Unter ihren maurischen Herrschern durften die Juden nur in bestimmten, abgegrenzten Gebieten Land
    besitzen, und nach einer jahrhundertelangen Reglementierung dieser Art haben sie aufgehört, sich Sorgen um das Problem der Bevölkerungsdichte zu machen. Viele Straßen sind ein gutes Stück enger als sechs Fuß, die Häuser haben keine Fenster, und unvorstellbare Scharen augenkranker Kinder wimmeln wie
    Fliegenschwärme herum. Für gewöhnlich rinnt in der
    Straßenmitte ein kleiner Bach von Urin entlang.
    Am Basar sind ganze Familienverbände von Juden - die
    Männer durchweg in einem langen Kaftan und mit einer kleinen, schwarzen Kappe auf dem Kopf - in düsteren, höhlenartigen Werkstätten voller Fliegen an der Arbeit. Ein Drechsler sitzt, die Beine gekreuzt, an einer prähistorischen Drehbank und fertigt mit atemberaubender Schnelligkeit Stuhlbeine an, wobei er die Drehbank mit der rechten Hand ankurbelt, während er das
    Schnitzeisen mit dem linken Fuß dirigiert. Infolge der
    hockenden Stellung, die er sein Leben lang einnimmt, ist sein linkes Bein schief geworden, wie aus dem Gelenk gedreht. Ihm zur Seite sitzt sein sechsjähriger Enkel, der ihm schon bei den einfachen Vorarbeiten hilft.
    Ich ging gerade vor der Werkstatt eines Kupferschmiedes
    vorbei, als einer bemerkte, daß ich mir eine Zigarette anzündete.
    Im Nu stürzten aus sämtlichen Höhlen der Nachbarschaft
    aufgeregte Juden, manche davon Großväter mit flatternden,
    grauen Barten, und bettelten mich um eine Zigarette an. Sogar ein Blinder kam angekrochen, der in der Tiefe seines Gewölbes etwas von Zigaretten gehört hatte, und griff mit den Händen in der Luft danach. In weniger als einer Minute war ich mein
    ganzes Päckchen Zigaretten los. Meiner Schätzung nach

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