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Im Innern des Wals

Im Innern des Wals

Titel: Im Innern des Wals Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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von drei Minuten den ganzen Kram von innen nach außen kehren. Was aber
    erreicht man schließlich mit dieser Trennung von
    Grundbegriffen wie Patriotismus und Religion? Nicht unbedingt eine Befreiung von der Notwendigkeit, an irgend etwas zu glauben. Wenige Jahre zuvor hatte es so etwas wie eine falsche Morgenröte gegeben, als viele junge Intellektuelle, darunter mehrere recht begabte Schriftsteller (Evelyn Waugh,
    Christopher Hollis und andere), sich in den Schoß der
    katholischen Kirche geflüchtet hatten. Bezeichnend ist, daß sie fast unterschiedslos die römische Kirche und nicht zum Beispiel die englische Hochkirche, die griechischorthodoxe oder eine der protestantischen Sekten gewählt hatten. Sie hatten sich für die Kirche mit einer weltumspannenden Organisation entschieden, mit einer strengen Disziplin, mit Macht und Ansehen. Vielleicht sollte man erwähnen, daß der letzte, wirklich bedeutende
    Konvertit, nämlich Eliot, nicht zur römischkatholischen, sondern zur anglokatholischen übertrat, dem kirchlichen Gegenstück zum Trotzkismus. Ich glaube, man braucht nicht viel weiter zu gehen, um den Grund zu finden, weshalb die jungen
    Schriftsteller der dreißiger Jahre in Scharen in die
    Kommunistische Partei eintraten oder sich ihr zumindest
    näherten. Hier war einfach etwas, woran man glauben konnte.
    Hier war eine Kirche, eine Armee, eine Glaubenslehre, eine Disziplin. Hier war ein Vaterland und - jedenfalls seit ungefähr 1935 - ein Führer. Treue und Aberglauben, von der Intelligenz scheinbar verbannt, kamen rauschend zurück, und zwar unter der durchsichtigsten Tarnung. Patriotismus, Religion, Empire,
    -118-

    militärischer Ruhm in einem Wort: Rußland, Vater, König,
    Führer, Held, Retter alles in einem: Stalin. Gott-Stalin. Der Teufel - Hitler. Himmel - Moskau. Hölle - Berlin. Alle Lücken waren wieder aufgefüllt. Auf diese Weise ist der
    »Kommunismus« der englischen Intellektuellen schließlich
    leicht zu erklären. Es ist der Patriotismus der Entwurzelten.
    Aber da ist noch etwas, was zweifellos zum Kult um Rußland beitrug, und das ist die Bequemlichkeit und Sicherheit des Lebens in England selbst. Bei allen Ungerechtigkeiten ist
    England noch immer das Land des »Habeas Corpus«, und die überwältigende Mehrheit der englischen Bevölkerung hat keine Erfahrung von Gewalt oder Ungesetzlichkeit. Ist man in einer solchen Atmosphäre aufgewachsen, kann man sich nur schwer
    vorstellen, was ein despotisches Regime bedeutet. Fast alle prominenten Schriftsteller der dreißiger Jahre gehörten zur weichgekochten, emanzipierten Mittelklasse und waren zu jung, um sich noch deutlich an den Weltkrieg zu erinnern. Für Leute dieses Schlages sind Dinge wie Säuberungen, Geheimpolizei, standrechtliche Erschießungen, Inhaftierung ohne
    Gerichtsverfahren etc. zu fern, um schrecklich zu wirken. Sie können Totalitarismus verdauen, weil sie nichts anderes kennen als Liberalismus. Man lese zum Beispiel den folgenden Auszug aus Audens Gedicht »Spanien« (dieses Gedicht ist übrigens
    eines der wenigen ehrlichen literarischen Produkte über den Spanischen Krieg):

    Tomorrow for the young, the poets exploding like bombs, The walks by the lake, the weeks of perfect communion; Tomorrow the bicycle races
    Through the suburbs on summer evenings. But today the
    struggle.
    Today the deliberate increase in the chances of death, The conscious acceptance of guilt in the necessary murder;
    -119-

    Today the expending of powers On the flat ephemeral
    pamphlet and the boring meeting.

    [Morgen für die Jungen, die Dichter wie Bomben
    explodierend, die Spaziergänge am See, die Wochen
    vollkommener Harmonie; Morgen die Radrennen durch die
    Vororte an Sommerabenden. Aber heute der Kampf. Heute die
    absichtliche Zunahme der Todeschancen, die bewußte
    Anerkennung von Schuld beim notwendigen Mord; heute die
    Kraftverschwendung bei platten vergänglichen Flugblättern und langweiligen Versammlungen.]

    Die zweite Strophe ist wie eine hingewischte Skizze eines
    Tages im Leben eines »guten Parteigenossen«. Am Morgen ein paar politische Morde, ein Zwischenspiel von zehn Minuten, um
    »bürgerliche« Gewissensbisse zu beschwichtigen, darauf ein hastig heruntergeschlungenes Mittagessen und dann ein
    arbeitsreicher Nachmittag und Abend, ausgefüllt mit
    Kreideinschriften an Mauern und Flugblattverteilungen. Alles enorm erbaulich. Man beachte jedoch den Ausdruck
    »notwendiger Mord«, das konnte nur jemand schreiben, für den Mord

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