Im Innern des Wals
Autor einen Essay, den Aldous Huxley vor einigen Jahren über ein Bild El Grecos,
»Der Traum Philipps des Zweiten«, schrieb. Huxley bemerkt dazu, daß die Figuren auf dem Bild alle so aussähen, als
befänden sie sich im Bauch von Walen, und er gesteht, daß ihm die Vorstellung, in einem »Gefängnis von Eingeweiden«
eingeschlossen zu sein, besonders entsetzlich sei. Miller
erwidert, es gebe im Gegenteil viel Schlimmeres, als von einem Wal verschluckt zu werden, und aus der Antwort geht deutlich hervor, daß er, Miller, den Gedanken eher attraktiv findet. Damit berührt er etwas, was vermutlich eine sehr weit verbreitete Wunschvorstellung ist. Es ist bemerkenswert, daß jeder,
wenigstens jeder Englisch-Sprechende, ausnahmslos von Jonas und dem Wal redet. Natürlich war das Ungeheuer, das Jonas verschlang, ein Fisch und wird so in der Bibel beschrieben (Jonas I, 17), aber Kinder verwechseln es gern mit einem Wal, und diese Kindheitserinnerung wird meistens in das spätere Leben mit hinübergenommen - vielleicht ein Beweis, wie stark die Legende von Jonas sich dem Gedächtnis eingeprägt hat.
Tatsache ist, daß die Vorstellung, sich im Innern eines Wals zu befinden, tröstlich, gemütlich und anheimelnd wirkt. Der
geschichtliche Jonas, wenn man das sagen kann, war jedenfalls froh, dem Wal wieder entronnen zu sein, aber in der Phantasie, in Tagträumen, haben ihn viele Menschen beneidet. Warum,
liegt auf der Hand. Der Bauch eines Wales ist eine Höhle, groß genug, um einen Erwachsenen aufzunehmen. Man ist dort in
einem dunklen, ausgepolsterten Raum, der genau paßt, mit einer dicken Speckschicht zwischen sich und der Außenwelt. So hat
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man die Möglichkeit, sich mit absoluter Gleichgültigkeit
gege nüber allem, was immer draußen vorgeht, zu verhalten. Ein Sturm, der jedes Kriegsschiff der Welt zum Sinken brächte, würde einen nur von weitem, kaum als ein Säuseln, erreichen.
Selbst die Eigenbewegungen des Wals würde man wohl nur
wenig spüren. Ob er sich auf der Meeresoberfläche wiegt oder in die Dunkelheit der mittleren Tiefen schießt (nach Herman Melville eine Meile), man würde keinen Unterschied merken. Es ist fast schon der Tod, ein Zustand endgültiger, unüberbietbarer Verantwortungslosigkeit. Und was immer es mit Anaîs Nin auf sich gehabt hat, Miller befindet sich selbst im Innern des Wals, kein Zweifel. Seine besten und persönlichen Arbeiten sind vom Standpunkt des Jonas geschrieben worden, eines bereitwilligen Jonas. Nicht daß er sonderlich introvertiert wäre, im Gegenteil.
In seinem Fall ist der Wal zufällig durchsichtig. Er fühlt sich jedoch nicht im geringsten bewogen, was mit ihm geschieht zu ändern oder zu kontrollieren. Er hat den essentiellen Jonas-Akt ausgeführt, indem er sich, mit seiner Zustimmung, vom Wal verschlungen zu werden, passiv verhält.
Es wird sich noch zeigen, was das bedeutet. Es ist eine Art von Quietismus, der entweder vollkommene Glaubenslosigkeit oder einen fast mystischen Glauben in sich schließt. Die
Grundhaltung ist ein »Je in'en fous« oder »Schlägt mich auch der HERR, so will ich IHM doch trauen«, von welcher Seite man es sehen will. Praktisch ist beides identisch und die Moral in beiden Fällen: »Bleib du ruhig auf deinem Hintern sitzen. « Läßt sich eine solche Haltung in einer Zeit wie der unseren
verantworten? Man sieht, daß es fast unmöglich ist, diese Frage zu unterdrücken. Im Augenblick der Niederschrift befinden wir uns immer noch in einer Lage, in der man für selbstverständlich hält, daß Bücher immer eine positive Aussage enthalten,
ernstgemeint und »konstruktiv« sein müssen. Noch vor einem Dutzend Jahren wäre das mit höhnischem Lächeln
aufgenommen worden. (»Meine liebe Tante, man schreibt nicht
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über etwas, man schreibt einfach.«) Dann schwang das Pendel weg von der frivolen Auffassung, Kunst sei lediglich eine Angelegenheit der Technik, aber es schwang ein großes Stück zurück, bis zu der Behauptung, kein Buch könne »gut« sein, wenn es nicht auf einer »wahrheitsgetreuen« Wiedergabe des Lebens beruhe. Natürlich glaubten die Leute, sie selber seien im Besitz der Wahrheit. Katholische Kritiker neigen zum Beispiel zu der Meinung, daß Bücher nur dann »gut« sein könnten, wenn sie den katholischen Standpunkt vertreten. Marxistische Kritiker stellen die gleiche Forderung, nur ungenierter. Zum Beispiel schreibt Edward Upward (A Marxist Interpretation of Literature in The Mind in Chains):
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