Im Innern des Wals
zu essen. Inzwischen hatte es zu regnen begonnen. Wir gingen daher zu einem Bauernhaus neben der Kirche und baten um die Erlaubnis, uns in einem der überdachten Viehstände unterzustellen. Der Farmer und seine Familie wollten sich gerade zum Abendgottesdienst begeben und schlugen unsere Bitte entrüstet ab. So stellten wir uns in die überdachte Eingangspforte vor der Kirche, in der Hoffnung, daß wir bei unserm armseligen und müden Aussehen vielleicht ein paar Kupferpennies von den vorbeikommenden Kirchgängern bekommen würden. Wir bekamen nichts. Aber nach dem Gottesdienst gelang es Ginger, vom Geistlichen ein paar guterhaltene Flanellhosen zu erbetteln. Es war ungemütlich beim Friedhofstor. Wir waren bis auf die Haut durchnäßt, aber Ginger und ich sind noch zwölf Meilen marschiert, und ich erinnere mich, daß wir die ganze Zeit vergnügt waren und lachten. Die Irin (sie war sechzig und hatte ihr ganzes Leben offenbar auf der Landstraße verbracht) erwies sich als ungewöhnlich heiteres altes Mädchen, das voller Geschichten steckte. Als das Gespräch darauf kam, wo man überall nächtigen könnte, erzählte sie, daß sie in einer bitterkalten Nacht in einen Schweinestall gekrochen und bei einer alten Sau geschlafen und sich gewärmt habe.
Als es dunkel wurde, regnete es immer noch. Wir beschlossen, nach einem leerstehenden Haus zu suchen, um dort zu schlafen, gingen aber erst in einen Laden, um ein halbes Pfund Zucker und zwei Kerzen zu kaufen. Während ich einkaufte, stahl Ginger drei Äpfel und die Irin ein Päckchen Zigaretten. Das hatten sie schon vorher ausgemacht, mir aber absichtlich nichts gesagt, um meine Ahnungslosigkeit als Deckung zu benutzen. Dann suchten wir lange Zeit, bis wir einen halbfertigen Neubau fanden, in den wir durch ein Fenster krochen, das versehentlich offengeblieben war. Der nackte Fußboden war verdammt hart, aber es war wärmer als draußen, und es gelang mir, tatsächlich zwei oder drei Stunden zu schlafen.
1. September
Wir verließen das Haus vor Morgengrauen und trafen die Irin, mit der wir uns verabredet hatten, in einem Gehölz in der Nähe. Es regnete, aber Ginger gelingt es immer, ein Feuer in Gang zu bringen, so daß wir Tee kochen und ein paar Kartoffeln rösten konnten. Bei Tagesanbruch ging die Irin zur Arbeit, und Ginger und ich marschierten zu der ein oder zwei Meilen entfernten Farm von Chambers, um nach Arbeit zu fragen. Dort hatte man gerade eine Katze gehängt, etwas, wovon ich noch nie etwas gehört hatte. Der Verwalter sagte, er glaube, daß er uns Arbeit geben könne und daß wir warten sollten. Wir warteten von acht Uhr früh bis ein Uhr mittags, dann kam er wieder und erklärte, er hätte doch keine Arbeit für uns. Wir gingen also wieder, nicht ohne eine große Menge Äpfel und Pflaumen gestohlen zu haben, und marschierten die Landstraße nach Maidstone weiter. Etwa um drei Uhr unterbrachen wir unsern Marsch, um das Essen zu machen und aus den Himbeeren, die wir am Tag zuvor gestohlen hatten, Marmelade zu kochen. Ich erinnere mich, daß man sich in zwei Häusern weigerte, mir kaltes Wasser zu geben, weil »die gnädige Frau« verboten habe, »Landstreichern etwas zu geben«. Ginger sah, daß ein Herr in einem Wagen in der Nähe gerade frühstückte, ging hinüber und bat ihn um Streichhölzer. Er sagte, es lohne sich immer, Leute beim Frühstück anzusprechen, weil sie meistens etwas Eßbares übriglassen, bevor sie weiterfahren. Tatsächlich kam der Herr mit etwas Butter zu uns, die er nicht verbraucht hatte, und knüpfte ein Gespräch an. Er war so freundlich, daß ich vergaß, meinen Cockney-Akzent aufzulegen, worauf er mich schärfer musterte und dann bemerkte, daß es für einen Mann wie mich doch sehr schwer sein müßte etc. etc.
»Hoffentlich empfinden Sie es nicht als Beleidigung … würden Sie das von mir annehmen?«
»Das« war ein Shilling, für den wir später Tabak kauften und so zum erstenmal an jenem Tag etwas zu rauchen hatten. Sonst hat uns in der ganzen Zeit nie jemand Geld geschenkt.
Wir gingen in Richtung Maidstone weiter, aber nach ein paar Meilen begann es in Strömen zu regnen, dazu drückte mich mein linker Schuh entsetzlich. Ich hatte drei Tage die Schuhe nicht von den Füßen gekriegt, die letzten fünf Nächte nur etwa acht Stunden geschlafen, und ich fühlte, daß ich nicht imstande sein würde, noch eine Nacht im Freien zu verbringen.
Wir beschlossen daher, zu dem etwa acht Meilen entfernten Asyl von West Mailing zu
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