Im Irrgarten der Intelligenz: Ein Idiotenführer (edition suhrkamp) (German Edition)
drei Reime finden oder eine Frage wie die folgende beantworten sollte: »Meine Nachbarin hat neulich sonderbare Besucher empfangen. Erst kam ein Arzt, dann ein Advokat und dann ein Priester. Was ist da passiert?«
Die beiden Erfinder stuften die Kinder, je nach ihren Antworten, auf einer Skala ein, die anzeigen sollte, welche Entwicklungsstufe sie erreicht hatten. Wenn ein Sechsjähriger alle Aufgaben richtig gelöst hatte, entsprachen seine Fähigkeiten seinem Lebensalter, und er bekam die Note 6,o. Ein Gleichaltriger, der es nicht geschafft hatte, mußte sich mit einem »Intelligenzalter« von 5,1 oder 4,4 zufriedengeben; er war ein Kandidat für die Sonderschule.
Binet war alles andere als ein Dogmatiker der Wissenschaft. Er hegte keine Allmachtsphantasien; er wollte sich einfach nützlich machen. Seinen Test hat er mehrfach korrigiert. Übrigens hat er es stets abgelehnt, die Punktzahl, die er einem Kind zuschrieb, als Intelligenz zu interpretieren. Er war der Auffassung, daß sich diese Gabe nicht mit einer einzigen Zahl abbilden läßt: »Die Skala«, sagte er, »erlaubt, ehrlich gesagt, keine Messung der Intelligenz, da intellektuelle Qualitäten nicht addiert und somit nicht wie lineare Oberflächen gemessen werden können.«
V.
Verfeinerungen
Da waren seine Nachfolger ganz anderer Meinung. Dem deutschen Psychologen William Stern, der 1912 den Begriff des Intelligenzquotienten geprägt hat, waren Binets Zweifel fremd. Um den IQ zu ermitteln, muß man, seiner Formel zufolge, das »Intelligenzalter« eines Kindes durch sein tatsächliches Alter dividieren und diesen Wert mit 100 multiplizieren. Wenn man ihn auf die gesamte Population mit dem Mittelwert 100 skaliert, kann man die Berechnung auch auf Erwachsene ausdehnen, indem man von einer Normalverteilung ausgeht und die Standardabweichung bestimmt. (Dabei handelt es sich allerdings, strenggenommen, nicht mehr um einen schlichten Quotienten, sondern um ein anspruchsvolleres Konstrukt.)
Diese Methode hat sich ziemlich rasch flächendeckend durchgesetzt. Zum ersten Mal wurden Intelligenztests millionenfach im Ersten Weltkrieg angewendet, und zwar vom amerikanischen Militär. Wo läßt sich ein Rekrut am besten einsetzen? Wer ist ein brauchbarer Kandidat für die Offiziersausbildung? 1 750 000 Wehrpflichtige sollen damals auf diese Weise ausgesiebt worden sein.
Unterdessen konnten sich die akademischen Experten der Verfeinerung ihrer Methoden widmen. Daß es dabei zu Streitigkeiten kam, die bis auf den heutigen Tag toben, wird keinen Kenner des Milieus wundern. Die einschlägige Literatur zeugt von jenem unermüdlichen Streben nach Vervollkommnung, das zum wissenschaftlichen Ethos gehört. Als sich dann auch noch die Statistiker einmischten, um der Sache mit mathematischer Präzision aufzuhelfen, geriet der arme Binet hoffnungslos ins Hintertreffen. Durchgesetzt hat sich am Ende ein in Stanford entwickelter Test, der immer wieder revidiert worden ist und bis heute verwendet wird.
Die Experten gingen bei ihren Tüfteleien mit ausgekochten Methoden vor. Sie boten alles auf, was der Werkzeugkasten der Statistik zu bieten hat: Faktorenanalyse, Intervallskalen, Matrizenoperationen, Restvarianzen, nichtparametrische Korrelationen und andere schöne Dinge, mit denen sich besonders intelligente Leute gern beschäftigen. Ein Beispiel für solche Übungen sieht folgendermaßen aus:
»Spearmans Rangkorrelationskoeffizient ist benannt nach Charles Spearman und wird oft mit dem griechischen Buchstaben ρ (rho) bezeichnet. Im Prinzip ist ρ ein Spezialfall des Pearsons-Produkt-Moment-Korrelationskoeffizienten, bei dem die Daten in Ränge konvertiert werden, bevor der Korrelationskoeffizient berechnet wird:
[ rg(x) = Rang von x ]
In der Praxis wird meistens eine einfachere Formel zur Berechnung von ρ benutzt. Die Rohdaten werden in Ränge konvertiert und die Differenz d i zwischen den Rängen beider Variablen wird für jede Beobachtung berechnet. ρ ist dann gegeben durch:
mit:
d = die Differenz zwischen den Rängen von x und y einer Beobachtung;
n = Anzahl der Wertepaare. Sind alle Ränge verschieden, ergibt diese einfache Formel exakt dasselbe Ergebnis.
Die Formel wird etwas komplizierter, wenn identische Werte für x oder y existieren, aber solange nicht sehr viele Werte identisch sind, ergeben sich nur kleine Abweichungen.« 9
Die technische Bibliographie zu solchen und ähnlichen Themen dürfte, von Anastasi bis Zhang und von Asch bis Zwiebel, Zehntausende
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