Im Irrgarten der Intelligenz: Ein Idiotenführer (edition suhrkamp) (German Edition)
den Haarspalter hält sich in Grenzen. Was den Schlaumeier und das Schlitzohr, den Siebengescheiten und den Neunmalklugen angeht, so begegnet man ihnen mit herablassender Ironie. Mit Argwohn wird betrachtet, wer sich als listig, pfiffig, clever, smart oder ausgefuchst erweist. Auf diesem Gebiet ist die Konkurrenz besonders groß, und es ist nicht immer leicht, zu unterscheiden, wer es bloß faustdick hinter den Ohren hat, wer mit allen Wassern gewaschen ist, wer’s bis zum Gewieften, Raffinierten und Durchtriebenen gebracht hat und wer darüber hinaus als ausgebufft, abgefeimt, gerissen und verschlagen gelten kann. Geradezu höhnisch fällt auf jeden Fall das Urteil aus, wenn es sich um einen Wunderknaben, einen Geistesriesen, eine Intelligenzbestie oder um einen Klugscheißer handelt.
Dieses Melderegister der Container-Insassen kann natürlich keinerlei Vollständigkeit für sich beanspruchen. Es zeigt jedoch, daß es sich zu leicht macht, wer sich mit einem Passepartout-Begriff für das begnügt, was sich unter der Hirnschale abspielt. Noch ergiebiger fällt die Gegenprobe aus.
Die Frage, wer das I-Prädikat nicht verdient, läßt eine enorme Zahl von Antworten zu. In der Negation zeigt sich erst die Fülle dessen, was man in früheren Zeiten die menschlichen Geistesgaben nannte. Ein weites und reich bestelltes Feld eröffnet sich, wenn statt von der Intelligenz von ihrer Abwesenheit die Rede ist. Auch für die Dummheit nämlich gibt es kein Wort, das der Vielfalt der Erscheinungen gerecht werden könnte. Wir müssen uns hier, statt die subtilen Unterscheidungen, die da zu treffen wären, gebührend zu würdigen, nolens volens mit einer schlichten Auflistung des Materials begnügen:
Unvernünftig; (stroh-, sau-, stock-, brunz-)dumm; blöde; dämlich; dusselig; stupide; unbedarft; trottelhaft; dickfellig; tolpatschig; minderbemittelt; hirnlos; doof; unterbelichtet; geistlos; beknackt; bekloppt; behämmert; töricht; schwer von Begriff; dumpf; verschnarcht; konfus; begriffsstutzig; hirnrissig; kopflos; borniert; engstirnig; beschränkt; stur; vernagelt; verbohrt; verschroben; hirnverbrannt; überkandidelt; unzurechnugsfähig; zurückgeblieben; närrisch; verblödet; stumpfsinnig; plemplem; idiotisch; imbezil; schwachsinnig; debil.
Darüber hinaus können wir auf ein enormes Repertoire von idiomatischen Wendungen zurückgreifen, als da sind:
Er ist auf den Kopf gefallen; hat das Pulver nicht erfunden; kann nicht bis drei zählen; ist nicht ganz dicht; hat eine weiche Birne; einen Dachschaden; eine lange Leitung; einen Sparren; einen Hau; einen Stich; einen Knall; einen Vogel; einen Zacken in der Krone; ein Brett vor dem Kopf; einen Sprung in der Schüssel; ist nicht ganz bei Trost; ist von allen guten Geistern verlassen; aufs Hirn gefallen; als Kind zu heiß gebadet worden; hat nicht alle Tassen im Schrank. Er tickt nicht richtig; bei ihm rappelt es; piept es; da ist eine Schraube locker; er spinnt; ist nicht ganz dicht; ist jeck; gaga; meschugge; balla balla ...
Auch an einschlägigen Substantiven herrscht kein Mangel. Der oder jene nämlich gilt als
Dumm-, Schwach-, Hohl-, Flach-, Wirr-, Dös-, Holz-, Stroh-, Schafs-, Knall- oder Plattkopf ; Dödel; Depp; Dumpfbacke; Dussel; Dummerjan; Dämlack; Dummbeutel; (Voll-)Trottel; Kleingeist; Einfaltspinsel; Bierdimpfel; Schwachmathikus; Pfeife; Blödian; Schussel; Flasche; Simpel; Nulpe; Gimpel; Seifensieder; (Voll-, Fach-)Idiot; Kretin; Spatzenhirn; Schafsnase; Zicke; Pute; Gans; Rindvieh; (Horn-)Ochse; Kuh; Esel; Gorilla; Kamel.
Dreierlei fällt an dieser Liste auf.
Zum einen ist das Vokabular, das zur Verfügung steht, wenn es um Defizite geht, weit umfangreicher als jenes, das unsere vorteilhafteren Gaben beschreibt. Zwar werden auch die nicht unkritisch gesehen; an allerhand Vorbehalten fehlt es nicht; auch Neid und Häme spielen eine Rolle. Dort, wo es um die Dummheit geht, herrscht aber durchgehend ein beleidigender Ton.
Zweitens scheint es den meisten, die ihren Ärger oder ihre Verachtung für die Dummen ausdrücken wollen, schwerzufallen, zwischen Alltag und Klinik zu unterscheiden. Das gängige Vokabular neigt dazu, Krankheit und Dummheit in einen Topf zu werfen. Unklar bleibt, ob es einem, der »nicht alle Tassen im Schrank« hat, nur an Klugheit fehlt oder ob es sich um einen Fall für die Psychiatrie handelt. Durch die Bank ignoriert werden die oft sehr beträchtlichen geistigen Fähigkeiten schizophrener oder autistischer Patienten. Obwohl solche
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