Im Irrgarten der Intelligenz: Ein Idiotenführer (edition suhrkamp) (German Edition)
Rätselfragen, die der Test stellt, daß sie in der Regel nur eine einzige richtige Antwort zulassen. Das ist im Grunde ziemlich seltsam; denn in der wirklichen Welt sind solche Situationen die Ausnahme. Ganz gleich, um was es bei unseren Entscheidungen geht – um eine Bewerbung, einen Wahlkampf, eine Scheidung, einen Mietvertrag –, stets haben wir es mit zahlreichen Variablen zu tun, die noch dazu wechselseitig voneinander abhängen. Sie sind mit einem Wort komplex.
Überdies werden dem, der solche Probleme zu lösen hat, nicht, wie bei den herkömmlichen Tests, alle relevanten Informationen fix und fertig serviert; sie zu beschaffen und gegeneinander abzuwägen ist vielmehr ein Teil der zu lösenden Aufgabe. Nicht einmal das zu erreichende Resultat ist von vornherein eindeutig festgelegt, sondern man hat es gewöhnlich mit Zielkonflikten zu tun, die es aufzulösen gilt. Und schließlich haben komplexe Szenarien eine zeitliche Dimension, die der Test ignoriert, weil jede Entscheidung, die wir treffen, zu zukünftigen Konsequenzen führt, die in Betracht zu ziehen sind. Das alles sind Leistungen, von denen man kaum behaupten kann, daß jeder Dummkopf fähig ist, sie zu erbringen. Von alledem ist bei Eysenck nicht die Rede.
Je genauer man sein Werk studiert, um so zwingender wird man zu dem Schluß kommen, daß es sich um ein unfreiwilliges Selbstporträt des Verfassers handelt. Wir haben es offensichtlich mit einem Musterschüler zu tun, der in den Mathematik- und Geographiestunden immer gut aufgepaßt hat. Leider hat dieser bewundernswerte Fleiß seinen Preis. Erkauft wurde sein erstklassiger Notendurchschnitt mit einem extrem reduzierten Wahrnehmungsvermögen, mit einem gestörten Verhältnis zur Ästhetik und mit einer Art Weltfremdheit, der jeder Bezug auf die Lebenswelt fehlt. Für die Politik oder für irgendeine gesellschaftliche Praxis bringt die ideale Versuchsperson kein Interesse auf.
Dafür ist sie spezialisiert auf das Bestehen formalisierter Prüfungen, vor allem von solchen, die sie selber entwickelt hat. Hierin sieht der Autor auch sein wichtigstes Erfolgskriterium. »Über den Daumen gepeilt«, teilt er ehrgeizigen Eltern mit, »sollten Kinder, die aufs Gymnasium gehen wollen, einen IQ von mindestens 115 aufweisen, bei Studenten sollte er mindestens 125 betragen. Um ein Examen mit Auszeichnung zu machen, muß ein Student einen IQ von mindestens 135 haben.« Auch für das Militär gelten strenge Regeln: »Von allen Prüflingen, die einen IQ-Wert von 140 oder darüber ... erreichten, erlangten über 90 Prozent das Offizierspatent.«
Überhaupt hat, wer bei Professor Eysenck gut abschneidet, auch im Erwerbsleben gute Karten: »In anderen Studien wurden die Korrelationen zwischen IQ und Einkommenshöhe untersucht, und auch hier ergab sich eine direkte Proportionalität zwischen Intelligenz und Erfolg.« Allerdings mit beklagenswerten Einschränkungen: »Denn es gibt einige Gruppen mit hohem IQ, wie z. B. Lehrer und Professoren, deren Dienste von der Gesellschaft nicht angemessen vergütet werden.«
VII.
Ach ja, die Elite!
Nach alledem mag es naheliegen, sich über diesen verdienten Wissenschaftler lustig zu machen. Aber damit würde man ihn unterschätzen. Denn er hat es nicht nur gut gemeint mit seinen Probanden. Er war gewitzt genug, um die Einwände, die auf ihn niederprasselten, zu berücksichtigen; ja, er hat sogar versucht, sie vorwegzunehmen. In seinen Erläuterungen macht er seinen Kritikern gewisse Zugeständnisse: »Will man Fragen der Intelligenzmessung erörtern, dann gilt es zunächst einmal, ein weitverbreitetes Mißverständnis auszuräumen. Viele Menschen glauben nämlich, es gebe eine gesicherte wissenschaftliche Theorie der Intelligenz ... Intelligenztests basieren keineswegs auf stichhaltigen theoretischen Erkenntnissen. Zudem gibt es unter den Experten kaum Übereinstimmung darüber, was denn Intelligenz eigentlich sei.« Und es kommt noch schlimmer; denn »auf keinen Fall darf man Schwachsinn mit einem Mangel an Intelligenz gleichsetzen«. Diese Einsichten haben den Eifer des Forschers jedoch keineswegs gedämpft. Eysenck beruft sich in gut pragmatischer Manier darauf, daß sein Test »in der Praxis aber sehr erfolgreich« sei, und verweist in diesem Zusammenhang auf das Thermometer. Als es erfunden wurde, gab es nämlich auch noch keine kohärente physikalische Wärmelehre, und trotzdem hat es sich als brauchbar erwiesen. Soviel Bescheidenheit sollte seine vielen Kritiker
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