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Im Jahre Ragnarök

Titel: Im Jahre Ragnarök Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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wieso nicht?«
»Das hat physikalische Gründe«, beschied ihn Ecke knapp und gab ihm damit zu verstehen, dass sich eines jener schwer erklärbaren Hindernisse ergeben hatte, deren komplexe Gesetzmäßigkeiten die Arbeit mit Zeitportalen so erschwerten.
»Aber ich weiß, wie wir das Problem umgehen können. Zunächst bringe ich dich ins Depot. Dann öffne ich dir ein Doppelportal.«
Bei den Doppelportalen handelte es sich um eine seiner eigenen Entwicklungen, von denen der Professor keine Kenntnis hatte. Köhler, da war Ecke sich vollkommen gewiss, wäre im Leben nicht der so naheliegende Gedanke gekommen, einfach zwei sich überlagernde Modulationen zu verwenden und auf diese Weise ein Portal zu erzeugen, das zwei Punkte der Vergangenheit direkt miteinander verband. Doch er nahm an, dass Köhler die geringfügig anspruchsvolleren Berechnungen für ein solches Portal ohnehin nicht bewältigen könnte.
»Also gelange ich unmittelbar nach Kassel?«
»Nicht ganz«, schränkte der Doktor ein und bediente routiniert einen Block von Schiebereglern. »Du musst einen kurzen Zwischenhalt in Kauf nehmen. Bei so großen zeitlichen Distanzen neigen Doppelportale ja zu Ungenauigkeiten. Ich bringe dich an einen Ort in ungefährer zeitlicher und räumlicher Nähe zum eigentlichen Ziel, da wartest du dann, bis ich ein präzise kalibriertes Anschlussportal für dich öffne. Das dauert höchstens fünf Minuten. Dass du mir gut auf den Dürer achtgibst – denk nur daran, wie viel er uns einbringen wird!«
»Geh', mach einfach«, verlangte Pallasch ungeduldig.
Ecke drückte den gelben Knopf. Beim ersten Versuch rutschte sein Zeigefinger vom glatten Kunststoff ab.

Tubber saß auf der Pritsche und wartete darauf, dass endlich das blaue Licht erschien.
Mit jeder ereignislos verstrichenen Minute wurde er nervöser.
Wieso dauert das bloß so lange? , fragte er sich aufgewühlt und brummte einige Flüche, weil Pallasch und Ecke sich so unangemessen viel Zeit ließen. Zu seiner Bestürzung stellte er fest, dass ihm dabei zum allerersten Mal in seinem gesamten Leben das Wort fuck über die Lippen kam.
»Cor blimey«, ächzte er und wischte sich die schweißnassen Handflächen fahrig am Mantel ab.
     

2. April 1603 v. Chr.
    Das Zeitportal schloss sich hinter Otto Pallasch, das bläulich weiße Leuchten verschwand.
Die lang gezogene Felshöhle, in der er sich befand, wurde nur noch von der batteriegespeisten Lampe dürftig erhellt.
Pallasch stellte die Lampe wieder auf den Stein, auf dem er sie bei jedem Aufenthalt an diesem Ort zurückließ, um dann den Blick wandern zu lassen. An den Felswänden lehnten nebeneinander aufgereiht Dutzende von Gemälden aus allen Epochen der europäischen Malerei. Es gab kein besseres Depot für die empfindlichen Schätze als diese stets gleichbleibend warme, trockene Höhle, die sich unter den Hängen des schlafenden Vulkans von Santorin verbarg und in die nie Tageslicht drang.
Während er die Gemälde betrachtete, seufzte Pallasch leise. Er fand es bedauerlich, alle diese einzigartigen Stücke vor der Vernichtung im Bombenhagel gerettet zu haben, nur um sie jetzt der Zerstörung in einem unvermeidlichen Vulkanausbruch zu überantworten.
Trotz der schweißtreibenden Wärme überkam ihn ein plötzliches Frösteln.
Für einen Moment blieben seine Augen an einem ausgebeulten großen Lederkoffer hängen, der sich neben der Schönheit der Kunstwerke noch schäbiger ausnahm, als er es ohnehin war. Gerne hätte Pallasch ihn auch gleich mitgenommen, doch er wollte ihn später abholen. Es wäre unklug gewesen, in Kassel einen Koffer mit zweieinhalb Millionen Dollar herumzutragen.
Ein Hauch von Kälte legte sich um seine Füße und kroch langsam die Beine empor, ohne dass Pallasch dem Beachtung schenkte. Er nahm eines der Gemälde an sich, eine kleine Holztafel mit der Darstellung eines Christuskopfes. Das unscheinbare Bildnis Jesu, der unter dem dunklen Firnis der Jahrhunderte dem Betrachter rätselhaft traurig ins Gesicht schaute, war von unschätzbarem Wert. Doch das alleine war es nicht, was Pallasch an Dürers Salvator Mundi fesselte. Er war von diesem Bild fasziniert, weil er einfach fühlte , dass es etwas ganz Außergewöhnliches, Unerklärliches an sich hatte.
Vorsichtig legte er es mit der Rückseite flach auf den Boden, holte das mitgebrachte Wachspapier aus dem Rucksack und begann, die Tafel sorgfältig einzuwickeln.
Gerade legte er den ersten Papierbogen über das Gemälde, als ihn ein unbehagliches Gefühl

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