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Im Jahre Ragnarök

Titel: Im Jahre Ragnarök Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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kurzen selbstgefälligen Blicks über die Schulter hinweg, um sich dann sogleich wieder der Suche nach der passenden Montur zuzuwenden. »Geh', denk' mal nach! Auf die Weise erspar'n wir uns die Schererei'n, die uns der Engländer einbringen könnte.« Er holte eine dunkle Hose aus dem Schrank, die er aber nur flüchtig in Augenschein nahm und dann unzufrieden wieder zurückhängte. »Weißt du, ob der uns nicht einfach ans Messer liefert, um sich zusätzlich noch eine Beförderung zu verdienen?
So einer Beamtenseele trau ich das zu. Mit Wolfgang fahr'n wir besser, dem geht's wenigstens nur ums Geld – grad so wie uns.«
»Wenn du meinst«, erwiderte Ecke zurückhaltend.
»Es ist der bessere Weg. Du wirst seh'n«, bekräftigte Pallasch seine Entscheidung noch einmal. »Und jetzt hilf mir, die Kleidung für Stockholm zusammenzustell'n.«
* * *
    Der Jeep, in dem Rottenführer Klörath und Dünnbrot saßen, durchfuhr eine weitere Pfütze und ließ lehmig braunes Wasser aufspritzen. Sie kamen gut voran. Die Wachen an den Kontrollposten waren bereits zum Königstein zurückbeordert worden, sodass es keine zeitraubenden Zwischenhalte gab.
»Nein, wirklich, da war ich dabei«, beteuerte Klörath. »Und '44 in Warschau auch. Da habe ich an einem Tag so viele erschossen, hinterher war die Pistole hinüber.
War meine Lieblings-Luger. Das nehme ich den Polacken heute noch übel.«
Der Rottenführer lachte schallend.
Dünnbrot stimmte in das Lachen ein und wischte sich mit dem Handrücken den feinen Nieselregen aus dem Gesicht. Einzig die Doppelfalte zwischen seinen Augenbrauen verriet seine Anspannung. Und die Falte vertiefte sich noch, als zwischen den Bäumen endlich die Silhouette von Pirna mit der über die Stadt ragenden Burg im dämmerigen Abendlicht auftauchte.

Chantal blickte von dem Fahrtenbuch auf, das sie zur Ablenkung mit kleinen Zeichnungen und sinnlosen Kritzeleien füllte. »Hörst du das?«
»Was denn?«, fragte Greta.
»Das klingt wie ein Auto!« Mit dem Ärmel wischte Chantal die beschlagene Scheibe der Fahrerhaustür frei und spähte nach draußen.
Unwillkürlich ließ Greta die Hand in ihre Manteltasche gleiten; die Finger umfassten den Griff der Pistole, die sie einem der beiden amerikanischen Soldaten abgenommen hatte. Wer außer den Amerikanern, die inzwischen bestimmt nach dem gestohlenen Lastwagen suchten, oder den Nazis, deren Spur sie bis hierher gefolgt waren, würde sich schon in diese Gegend verirren?
»Es ist Günter!«, rief Chantal aus. »Aber es ist jemand bei ihm, ein Fremder.«
Greta sah über die Schulter ihrer Freundin hinweg, um auch etwas sehen zu können. »Das bedeutet nichts Gutes«, sagte sie und biss sich beunruhigt auf die Unterlippe.
Die beiden Frauen verließen das Fahrerhaus. Unter ihren misstrauischen Blicken hielt der Jeep vor ihnen. Dünnbrot und der Mann im gefleckten Kampfanzug, eine Maschinenpistole am Riemen über die Schulter gehängt, stiegen aus.
Die Uniform des Fremden mochte amerikanischer Herkunft sein, doch Chantal kannte die Rangabzeichen, die er an den Armen trug. Sie hatten sich ihr in den letzten Kriegstagen unauslöschlich ins Gedächtnis gebrannt.
»Wie ihr seht, bin ich wieder da«, redete Dünnbrot schnell drauf los, ohne Greta oder Chantal Gelegenheit zu geben, Fragen zu stellen. »Das hier ist Rottenführer Klörath von der SS. Ich erwarte, dass ihr ihn behandelt, als wäre er Landvogt Geßler persönlich!« Er sprach mit einer Bestimmtheit, die keine Zweifel an der Ernsthaftigkeit dieser Forderung zuließ.
Dünnbrot wich den befremdeten Blicken der Frauen aus und dirigierte Klörath geschwind zum Heck des Lastwagens, wobei er fast ohne Atempause weitersprach:
»Wir haben einen Gefangenen bei uns, einen amerikanischen CIG-Agenten ... und er war ein Schocker! Schauen Sie ihn sich mal an und entscheiden dann, was mit ihm geschehen soll.«
»Ein Schocker? Mit Vergnügen!«, antwortete der Rottenführer grimmig lachend und entsicherte schon die Maschinenpistole.
An der Ladeklappe angelangt schaute Dünnbrot kurz hinter sich. Weder Chantal noch Greta waren gefolgt. Mit einer Geste, die seine Verachtung für den Amerikaner zum Ausdruck brachte, bedeutete er dem SS-Mann, die Plane zurückzuschlagen und in den Laderaum zu sehen. Der Rottenführer beugte sich vor, die Maschinenpistole schussbereit im Anschlag.
Kaum hatte Klörath ihm den Rücken zugedreht, da holte Dünnbrot zu einem Faustschlag in seinen Nacken aus. Doch der SS-Mann hatte die Bewegung aus dem

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