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Im Jahre Ragnarök

Titel: Im Jahre Ragnarök Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Henkel
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durchfuhr. Ihm war, als würden seine Beine schleichend taub werden. Und auch mit seinen Fingern schien etwas nicht zu stimmen; ein lästiges kribbelndes Stechen breitete sich in ihnen aus. Sie wurden kalt und steif, als entwiche das Blut aus ihnen. Er vermutete, dass es nur die Aufregung darüber war, alle diese Kunstwerke zurücklassen zu müssen, die seinem Kreislauf ein wenig zusetzte.
Es würde vorübergehen.
Aber es ging nicht vorüber. Nachdem er das Bild eingehüllt und im Rucksack verstaut hatte, breitete sich die Kälte immer weiter in seinem Körper aus, bis er am ganzen Leib zitterte. Immer schneller wich jedes Empfinden aus seinen Gliedmaßen.
Mit einem Mal begriff er, was passierte.
Scheiße, ich erfriere! Er wusste, dass das nicht möglich war. Selbst in bitterster Eiseskälte dauerte es Stunden zu erfrieren. Aber dennoch geschah es. Hatte er unwissentlich eine Kausalkette verletzt und sich dadurch in ein Paradoxon verstrickt, dessen bizarre Auswirkungen er nun zu spüren bekam? Zeitreisen hatten ihre eigene, undurchschaubare Logik, in der bisweilen selbst belanglos scheinende Kleinigkeiten in unergründlichem Zusammenhang standen.
Pallasch wurde von Angst gepackt. Durfte er sich vielleicht nicht in diesem Moment an diesem Ort aufhalten? Verstieß er durch seine bloße Anwesenheit gegen die Gesetzmäßigkeiten der Zeit? Was auch immer ihm widerfuhr, er wollte schnell von hier fort, fort aus dieser Höhle und dieser Vergangenheit.
Nur hatte sich das Portal noch nicht geöffnet.
     

Königstein
    Unruhig schob Tubber den verbogenen Kugelschreiber von einem Rand der Holzpritsche zum anderen, wieder und wieder. Warten zermürbte ihn. Das war schon immer so gewesen, aber diesmal strapazierte die erzwungene Untätigkeit sein Nervenkostüm mehr als in irgendeiner Situation, die er je erlebt hatte. Die mit jeder Sekunde anwachsende Ungewissheit, ob das Erwartete überhaupt noch eintreten würde, wurde immer unerträglicher.
Dann endlich geschah es. Das Portal erschien direkt vor ihm und tauchte die Zelle in helles Licht. Tubber erhob sich von der Pritsche und ging, in stoischer Erwartung der ihm bevorstehenden Schmerzen, in das Zeitportal. Gleich nachdem Tubber aus dem Lichtfeld getreten war, stellte Ecke das Freya-Gerät aus, sodass der unvermeidliche Schmerzanfall wenigstens schnell vorüberging.
Er kam Tubber zwar dennoch unerträglich lang vor, doch war er mittlerweile bereits für kleine Verringerungen seiner Qualen dankbar.
»Sie haben sich viel Zeit gelassen«, presste er mit zusammengebissenen Zähnen hervor, sobald er wieder einigermaßen Herr seiner Sinne war.
»Es gibt Probleme«, sagte Ecke. Sein Tonfall deutete an, dass etwas Gravierendes vorgefallen sein musste.
Tubber hörte auf, sich die hämmernden Schläfen zu reiben, und starrte den Doktor alarmiert an. Jetzt erst fiel ihm auf, dass seine Züge von Besorgnis überschattet waren. »Was ist passiert?«
Ecke berichtete, während er rastlos zwischen den Schaltern und Reglern der Geräte umhereilte und aus dem Gedächtnis Einstellungen vornahm, von Sperbers unerwartetem Erscheinen und dem Plan, mit dem der SS-Major Pallasch für sich eingenommen hatte. Seine Zusammenfassung war kurz, aber präzise wie das Protokoll eines Laborexperiments.
»Ich traue Himmlers Hofhund nicht über den Weg«, schloss Ecke seine Erklärungen ab, wobei er in rascher Folge Kippschalter umlegte. »Soll Pallasch sich irreführen lassen. Wir bleiben bei unserem ursprünglichen Plan, auch ohne sein Einverständnis.«
»Wo ist Pallasch überhaupt?«
»In der fernen Vergangenheit, um das letzte Bild zu holen. Damit er uns nicht stört, schicke ich ihn jetzt erst einmal direkt von dort nach Kassel. Das verschafft mir Zeit, die Dokumente zu besorgen, die Sie als Beweise mitnehmen werden. Ich habe das Material an einem sicheren Ort deponiert.«
»Einen Moment!«, unterbrach Tubber und untermalte seinen Einwurf mit einer ungewollt hektischen Handbewegung. »Sagten Sie Kassel? Pallasch soll nach Kassel?«
»Ja, mit einem Zwischen...«
Mitten im Wort brach Ecke ab. Aus dem Obergeschoss waren Geräusche vernehmbar.
Jemand öffnete die Schlösser der stählernen Eingangstür.
»Auf das Podest, schnell!«, verlangte der Doktor erschrocken.
Tubber verstand sofort. Man durfte ihn hier nicht finden, er musste auf der Stelle verschwinden. Ohne zu zögern, sprang er auf die Plattform des Freya-Geräts.
Ecke verstellte gehetzt mit einer Hand einen Drehregler und zugleich mit der anderen

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