Im Jenseits ist die Hölle los
mehr gab, sich neue Kleidung zu besorgen, doch ich tröstete sie mit den Worten, dass man sich hier nicht weiter um diese Dinge kümmerte. Jeder trug das, was er im Tod angehabt hatte, viele liefen in zerrissenen Klamotten herum, und manche waren völlig unbeklei det. Es gab, neben Babys, eine Menge Menschen, die nackt starben, in der Badewanne oder auf der Sauna-bank, und hin und wieder traf man auch solche, die mitten im Geschlechtsakt gestorben waren. All das spielte hier keine Rolle, es waren Dinge, auf die die Geister keinen Einfluss hatten. Der Tod kommt zu sei ner Zeit und richtet sich nicht nach der Mode.
»Da hatte ich ja Glück, dass ich nicht in der Bade wanne gestorben bin. Mir wäre es peinlich, hier unbe kleidet herumzulaufen, ich würde mich schrecklich schämen.«
»Sie haben doch einen schönen Körper, nackt wären Sie eine wirkliche Augenweide. Verzeihung, ich wollte nicht zudringlich sein.«
Sie kümmerte sich nicht um meine Worte, sondern fragte mich weiter aus:
»Was macht man denn hier so?«, wollte sie wissen. »Tja, wie soll ich es sagen… eigentlich gar nichts, man
hält sich einfach nur auf. Hier ist für niemanden ir gendwelche Arbeit zu tun. Ich zum Beispiel bin die erste Zeit nur durch die Welt gezogen, habe mir die Menschen angesehen und sonst was alles. Und es gibt ja noch all die anderen Toten, mit denen man sich unterhalten kann. Mir ist die Zeit jedenfalls noch nicht lang gewor den.«
»Ich finde es ein bisschen belanglos, ohne Ziel durch die Welt zu wandern. Aber können wir uns nicht duzen? Ich heiße Elsa. Wir brauchen wohl nicht so förmlich zu sein, jetzt da wir gar nicht mehr leben.«
Sie erzählte, dass sie vor ihrer Erkrankung als Kin dergärtnerin gearbeitet hatte und daran gewöhnt sei, lebhafte kleine Kinder zu hüten. Sie fürchtete nun, dass es ihr langweilig werde, wenn sie nicht mehr die ge wohnte kreischende Horde um sich habe. Ich erklärte ihr, dass es hier viele Kinder gab, denn die Kindersterb lichkeit auf der Welt war weit größer, als es die Statistik vermuten ließ.
»Man braucht nur mal Afrika oder zum Beispiel Indien zu besuchen, dort sieht man genug verstorbene Kinder. Während der Überschwemmungen oder während anhal tender Dürreperioden sterben in diesen Gegenden an geblich so viele von ihnen, dass über manchen Dörfern oder Städten der Himmel ganz schwarz von ihren um herfliegenden Geistern ist, so wie über Lappland zur heißesten Sommerzeit von Mücken.«
»Aber das ist ja schrecklich«, jammerte Elsa. »Was wird denn hier im Jenseits aus den armen Kleinen? Sie fürchten sich bestimmt schrecklich, wenn sie nicht begreifen, was mit ihnen passiert ist.«
Ich informierte sie, dass für alle, die an Hunger ge storben waren, das jenseitige Leben im Allgemeinen eine große Erleichterung war, denn hier litt niemand unter Hungergefühl oder Schmerzen. Mit der Zeit verflüchtig ten sich die kleinen Kinder dann friedlich in der Atmo sphäre.
»Und wo ist Gott? Hier hat doch wohl jemand die Lei-tung?«
Auf diese Frage musste ich ihr sagen, dass niemand die Existenz Gottes garantieren konnte, da er noch nie gesehen worden war. Nicht andeutungsweise hatte ich davon reden gehört.
»Außerdem hat es in der Geschichte der Menschheit Hunderte, wenn nicht sogar Tausende Götter gegeben. Es wäre schwierig, hier gerade den eigenen Gott zu finden, an den man glaubte, selbst wenn er sich irgend wo aufhalten sollte.«
Tröstend fügte ich noch hinzu:
»Aber Jesus ist dem Vernehmen nach durchaus exi stent. Er führt allerdings ein ziemlich zurückgezogenes Leben. Seine Berühmtheit zwingt ihn dazu.«
»Das kann ich mir vorstellen. Wenn ich Jesus wäre, würde ich mich auch verstecken vor den Millionen Ver storbener, die mich ständig anbeten oder mir danken wollen.«
Während wir uns unterhielten, war Elsas Tod bemerkt worden. Ihr Leichnam wurde mit einem Laken bedeckt und in den Leichenkeller geschafft. Ich fragte sie, ob sie in der Klinik bleiben und auf das Eintreffen ihrer Ange hörigen warten wollte. Sie schüttelte den Kopf, noch mochte sie die um sie Trauernden nicht sehen, und auch der Gedanke, zu verfolgen, was mit ihrem Körper geschah, gefiel ihr nicht.
»Ich habe wirklich keine Lust, mit anzusehen, wie ich obduziert werde, so etwas ist einfach schaurig. Ich möchte jetzt sofort weg von diesem schrecklichen Ort. Wärest du so lieb, mich zu begleiten?«
So verließen wir gemeinsam die Klinik. Elsa
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