Im Jenseits ist die Hölle los
sie ihre selbst beschworenen Geister auf, und im fahlen Morgenlicht flatterten ihre Seelen unschlüssig aus dem Trümmerstaub hinauf in den Himmel. Sehr große Geisteskraft hatten die Hexen of fenbar nicht besessen, denn bis zum Abend hatte sich auch die letzte von ihnen in Luft aufgelöst. Es erging ihnen also genauso wie allen anderen, die im Leben nicht allzu häufig ihren Kopf bemühen. So war der Tod für sie, außer einer überraschenden, auch eine traurige Erfahrung, da sie so wenig davon hatten.
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Wenn der Mensch stirbt, muss er viele Gewohnheiten aufgeben: Er isst nicht mehr, pflanzt sich nicht fort, zieht sich nicht an oder aus. Der Tod bedeutet quasi den Beginn endgültiger Arbeitslosigkeit, da zwangsläufig die Betätigungsmöglichkeiten schrumpfen. Vielen geschäfti gen und betriebsamen Menschen verursacht die Taten losigkeit, die mit dem Tod einhergeht, beträchtliche Anpassungsschwierigkeiten.
Anders bei mir: Ich hatte schon im Leben hauptsäch lich gepflegtes Faulenzen betrieben, hatte mich umge schaut und mir meine Gedanken gemacht. So fand ich es jetzt eigentlich ganz angenehm, dass ich mich nach Herzenslust in der Welt bewegen und von oben das Leben und Treiben der Menschen verfolgen konnte.
Einer dieser geruhsamen Ausflüge führte mich eines Novembertages ins Krankenhaus von Jorvi, eine neue und imposante Einrichtung in Espoo. Ich beschloss, mich umzusehen, ob dort vielleicht Patienten im Sterben lagen. Dann wollte ich der Erste sein, dem der neue tote Finne begegnete, wollte ihm das Jenseits ein wenig zeigen und ihm beim Eingewöhnen helfen.
Natürlich sterben in Jorvi Leute, das passiert immer wieder. Aber im Großen und Ganzen sind das uninte ressante, von ihren Krankheiten gezeichnete Patienten, in deren Gesellschaft man sich nicht lange aufhalten mag. Im Grunde ist es im Jenseits nicht anders als im Leben: Die Mehrheit ist eine nichts sagende Masse.
Auf der Frauenstation für innere Medizin lag jedoch eine Patientin in den Dreißigern, die in jeder Hinsicht gesund und lebendig aussah und mein Interesse weckte, sowie ich sie sah. Sie lag in ihrem Krankenbett, das lange rote Haar malerisch um den Kopf ausgebreitet, die Augen halb geschlossen. Sie sah wirklich bezaubernd aus, war auch gut gebaut – das sah ich, als sie ins Bad ging. Zwar war sie nicht atemberaubend schön, aber außerordentlich hübsch und reizend. Ich verliebte mich auf den ersten Blick in sie. Als ich sie in der Badewanne sah, errötete ich, und ich verfluchte die Tatsache, dass ich tot und sie noch am Leben war. Gleich darauf schreckte ich vor meinen Gefühlen zurück: War das überhaupt zu vertreten? Ein toter Mann verliebt sich in eine lebende Frau! Ist so etwas nicht pervers? Wenn sich ein lebender Mensch sexuell von toten Körpern angezo gen fühlt, nennt man das Nekrophilie, und wenn er dabei erwischt wird, sperrt man ihn für Jahre ins Ge fängnis, um seinem schmutzigen Trieb Einhalt zu gebie ten.
Ich versuchte mich damit zu beruhigen, dass dieses Mädchen zwar eine Lebende war, dass sie aber auf jeden Fall todkrank und ihr Weg ins Jenseits bereits vorge zeichnet war. Ein derart schwer kranker Mensch ist ja schon so gut wie tot, redete ich mir ein. Dann schlug ich mir symbolisch an die Stirn: Wie konnte ich nur so niederträchtige Ausreden für meine schamlosen Gefühle erfinden?
Doch wie unter einem Zwang ging ich von nun an täg lich zu dem Mädchen in die Klinik. Ich saß manchmal stundenlang an ihrem Bett und beobachtete sie nur. Und von Tag zu Tag gewann ich sie lieber.
Natürlich erfuhr Propst Hinnermäki von dieser Ro manze, und er tadelte mich dafür. Er erklärte, dass ihm mein Verhalten ganz und gar nicht normal vorkomme.
»So etwas nennt man drüben auf der anderen Seite…« Ich unterbrach ihn:
»Ich weiß, ich weiß. Das ist Nekrophilie. Aber ich sitze ja nur hier und sehe sie an, ich habe sie nicht ange rührt«, verteidigte ich mich.
»So fängt es immer an«, murmelte er unfreundlich. »Aber ich werde dich nicht länger kritisieren. Die Liebe scheint auch im Tod ebenso blind zu machen wie im Leben. Zum Glück sind bei toten Männern wenigstens keine äußeren Zeichen der Erregung unter der Gürtelli nie sichtbar!«
»Sie reden unanständig, verehrter Propst.« »Ein toter Propst ist ein ehemaliger Probst«, sagte er
nur, und dann erzählte er eine Neuigkeit: Der Papst war nach Helsinki gekommen, um mich zu treffen, so wie wir es im Herbst in Rom vereinbart
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