Im Königreich der Frommen (German Edition)
konnten. Qahtani sprach
mit seiner Frau und seinen Kindern, um sich von ihnen zu
verabschieden – aber nichts passierte!
Sicher, Qahtani
wurde seitdem zweimal vom saudischen Geheimdienst einbestellt. Und,
ja, natürlich wurde sein Telefon abgehört. Der
Geheimdienst hat ihm seine SMS-Nachrichten unter die Nase gehalten.
Seinen Job als Kolumnist einer saudischen Tageszeitung und als
Moderator einer politischen Talkshow im saudischen Fernsehen hat er
verloren, aber im Grunde hat das Königshaus ACPRA und seinen
Vorsitzenden Qahtani bisher gewähren lassen.
Das war nur schwer
zu verstehen. Wieso?, fragte ich ihn deshalb schon da und dort in
seinem Büro.
Das habe wohl mit
den Besonderheiten der saudischen Königsfamilie zu tun,
antwortete Qahtani. Er glaube, sagte er, dass es nämlich der
König selbst sei, der seine schützende Hand über
ACPRA hielt.
König
Abdullah, der seit 2005 regiert, hat einige zumeist symbolische
Reformen eingeführt. Auch der Außenminister Prinz Saud,
der Qahtanis Boss ist, gilt als prominenter Reformer innerhalb der
Königsfamilie.
Den beiden
Reformern gegenüber allerdings stehen ihre konservativen
Halbbrüder, allen voran der damals seit über
fünfunddreißig Jahren amtierende Innenminister Prinz
Naif. Er galt als Wortführer der Hardliner. Bei Prinz Naif
liefen alle Fäden des saudischen Polizeistaates zusammen.
Deshalb ist er so etwas wie Qahtanis Intimfeind geworden.
Bevor ich mich
verabschiedete, sagte ich, Qahtani solle mir Bescheid sagen, wenn
wieder ein Gerichtsverfahren anstehe. Das wollte ich mit ihm
zusammen anschauen. Ein solcher Gerichtstermin erschien mir als ein
schönes Reportage-Thema: David ärgert Goliath vor Gericht.
Das konnte gar nicht schief gehen.
Als ich das Büro
verließ und in den Aufzug stieg, war ich aber schon nicht mehr
so sicher. Ein Satz klang mir noch in den Ohren, den Qahtani gleich
zu Beginn des Interviews gesagt hatte: „Wir probieren aus, wie
weit wir mit dem Regime gehen können.“ Auch der Ton, in
dem er seine Kämpfe mit dem Innenministerium schilderte,
beunruhigte mich. Wo andere geflüstert hätten, sprach er
stolz wie ein Feierabendfußballer über den letzten Sieg
am Wochenende.
Qahtanis Mut und
Elan waren ja bewundernswert. Und auch sehr wichtig. Daran hatte ich
keinen Zweifel. Ich wünschte ihm auch viel Erfolg damit. Aber
jetzt dachte ich, wenn das mal gut geht. Wenn der Geheimdienst einen
auf der Liste hat, dann war es Qahtani. Kannst du diesen Mann noch
mal anrufen? Dann wird dein Telefon auch abgehört. Dann sind
sie an dir dran. Morgen stehen sie bei dir vor der Tür. Zieh
dich warm an. Wenn das mal gut geht, dachte ich. Wenn das mal gut
geht.
Es ist gut
gegangen. Zum ersten Mal habe ich Qahtani, wie gesagt, im Januar
2011 getroffen. Ein paar Wochen später zog jedoch schon der
„Arabische Frühling“ in der Region ein. Auf einmal
war alles anders. Von nun an rief ich Qahtani andauernd an. Er wurde
so etwas wie mein Kompass auf der verwirrenden Landkarte des
Königreiches. Wusste ich wieder einmal nicht, wer wo stand und
was das jetzt wieder bedeutete, Qahtani – oder Mohammed, wie
ich ihn bald ansprach – wusste es. Er zeigte immer nach
Norden. Er stand immer für die Vernunft, er dachte so wie ich.
Selbst meine Lehrer-Kollegen wurden ab und an von den frommen Ideen
des Königreiches infiziert. Nicht Mohammed. Er lag immer
richtig. Irgendwann erschien er mir wie der Einzige im Königreich,
der noch alle Murmeln beisammen hatte, zumindest wie der Einzige,
den ich kannte.
Eine deutsche
Zeitschrift wollte ein Porträt von ihm haben. Deshalb fuhr ich
mit ihm zu einem der Treffen, das ACPRA jede Woche im Haus von
Abdullah Al Hamad abhielt. Es war nicht weit, in Kurtopa (= Cordoba;
das Königreich trauert noch immer dem den Muslimen verlorenen
Andalusien nach), dem gutbürgerlichen Vorort im Nordosten
Riads, in dem auch ich wohnte. Auch Mohammeds Haus war dort.
Rund zwanzig Männer
saßen dort im Kreis am Boden auf einer überdachten
Terrasse und hörten sich einen Vortrag an. Nur zwei Frauen
waren dort: amerikanische Journalistinnen, die mit Mohammed gekommen
waren.
Abdullah Al Hamad
sprach am Ende. Er ist einer der ACPRA-Mitbegründer und gilt
als Nestor der saudischen Menschenrechtsbewegung. Er war damals noch
keine sechzig, aber wirkte alt und fragil. Er ist schon ein paar Mal
im Gefängnis gewesen. Er sagte: „Wir können nur
machen, was alle Menschenrechtsaktivisten der Welt machen:
protestieren und hoffen, dass die
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