Im Königreich der Frommen (German Edition)
sagt, das Gericht
warte immer noch auf die Geheimdienstler.
Plötzlich
klingelt Professor Kathars Telefon. Sein Sohn Thamer ist dran. Der,
der seit etwas mehr als einem Jahr ohne Anklage im Gefängnis
sitzt. Der, um den das alles hier geht. Er hat einen Anruf die Woche
an seine Eltern. Dass er gerade jetzt anruft – das soll Zufall
sein! Mohammed sagt: „Natürlich hören die das
Gespräch mit.“
Vor ein paar
Minuten hat er mit dem Ex-Polizisten Dossari erst gewitzelt: „Ruf
mich mal an! Dann finden sie deinen Ordner.“ Dossari ist heute
eigentlich hier, um seine Akte zu finden, damit er eine
Entschädigung vom Innenministerium einklagen kann. Vor ein paar
Wochen hat ihm Qahtani in einem Telefongespräch dazu geraten.
Einen Tag darauf rief ihn der Geheimdienst an und bot ihm eine
Entschädigung von umgerechnet €7.000 an. Er lehnte ab.
Später wird
Mohammed sagen: „Natürlich könnte ich mir auch ein
paar andere Telefone besorgen, aber das würde die vom
Geheimdienst nur nervös machen. Und Leute, die nervös
sind, sind gefährlich. Deshalb lasse ich sie lieber mithören.“
Kathars Sohn am
Telefon sagt, den Umständen entsprechend gehe es ihm gut. Alle
gehen mal ans Telefon und sprechen ihm Mut zu. Er kann ihn brauchen.
Fast zwei Stunden
nachdem das Verfahren eigentlich beginnen sollte, werden wir endlich
in den Gerichtssaal gerufen. Er sieht aus wie in ein ganz normales
Büro: drei Schreibtische, Aktenschränke in der Ecke, ein
Konferenztisch in der Mitte, an dem wir Platz nehmen. Ein
Gerichtsangestellter sitzt hinter einem Bildschirm und fängt
an, in seinen Computer zu tippen. Mohammed schaut sich um und sagt
abfällig: „Alles vorläufig, alles gemietet, wie
alles in diesem Land. Die leisten sich nicht mal einen richtigen
Gerichtssaal.“
Der Angestellte
entschuldigt sich. Das Gericht habe einen Fehler gemacht, sagt er.
Zwar habe es eine Einladung an das Innenministerium geschickt, aber
leider mit dem falschen Datum. Deshalb habe der Geheimdienst
niemanden geschickt. Er setzt einen neuen Termin in drei Wochen an.
All das Warten war umsonst.
„ Ha! Das mit
dem falschen Datum können wir jetzt glauben oder nicht“,
sagt Mohammed draußen auf dem Gang. „Wie immer spielen
die auf Zeit.“
Drei Wochen später.
Alle sind wieder gekommen, außer dem Ex-Polizisten Dossari.
Der muss sich um sein eigenes Verfahren kümmern, um eine
Entschädigung zu bekommen.
Inzwischen jedoch
ist eine Menge passiert. Am Wochenende, nachdem das Verfahren
verschoben wurde, protestierten 200 Demonstranten gegen die
Inhaftierung ihrer Verwandten vor dem Innenministerium. Fast alle
wurden verhaftet, unter ihnen Professor Kathars zweiter Sohn, der
17-jährige Jihad. Er tritt in einen Hungerstreik und wird nach
einer Woche entlassen. Er muss eine Erklärung unterschreiben,
dass er sich in Zukunft von verdächtigen Orten fernhält.
„Damit geben sie zu, dass das Innenministerium verdächtig
ist“, sagt der Professor und lacht.
Das Warten beginnt.
Wieder klingelt Kathars Telefon. Wieder ruft sein erster Sohn Thamer
aus dem Gefängnis an. Diesmal sagt er, dass man ihm eine
Entschädigung angeboten hat. „Möglicherweise wird er
bald freikommen“, sagt der Professor.
Diesmal müssen
wir nur eine Dreiviertelstunde warten. Als wir reinkommen, sagt uns
der Gerichtsangestellte, der Geheimdienst sei wieder nicht
aufgetaucht. Darauf hat Professor Kathar gewartet. Er hat eine
Photokopie des einschlägigen Paragraphen im Verfahrensrecht
mitgebracht und hält sie dem Beamten unter die Nase. Das Recht
sei eindeutig, schließt er seine kurze Rede. Nun müsse
ein Richter gegen das Innenministerium entscheiden.
„ Das gilt
doch nicht für das Innenministerium“, sagt der
Verwaltungsangestellte ruhig. „Denen können wir nichts
vorschreiben.“
Das Gericht werde
nun folgendes machen, sagt er. Der Leiter des Gerichts werde sich an
das Ministerium wenden, damit sie das nächste Mal wirklich
jemanden schicken.
Ein neuer Termin in
drei Wochen wird angesetzt. Der Kampf geht in die nächste
Runde.
Wieder sind wir in
der Beschwerde-Kammer. Zum ersten Mal bemüht sich ein Richter
in dem Verfahren. Wieder sagt der Richter, die Kammer werde sich
direkt an das Innenministerium wenden. Ein neuer Termin in drei
Wochen wird angesetzt. Wieder sagt Professor Kathar, ein Urteil
müsse gesprochen werden. Das sieht der Richter jedoch anders:
„Es liegt in der Autorität des Gerichts zu entscheiden,
was zu tun ist.“
Stimmt das?
„Unsinn!“,
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