Im Königreich der Frommen (German Edition)
das
Telefon am Ohr sagte er, die Kinder, ich musste noch meine Kinder in
die Schule bringen. Die saudische Geschichte. Den Rest füllte
ich selbst ein: der Verkehr und keine öffentlichen
Verkehrsmittel. Ich war eine Stunde vor dem Termin losgefahren.
Al Qahtani stellte
seinen mittleren Mannschaftstransportwagen im Parkhaus des
Institutes ab, grüßte kurz an der Pforte, ich schrieb
mich ins Besucherbuch ein, dann fuhren wir mit dem Aufzug in sein
Büro in eines der oberen Stockwerke.
Al Qahtani war ein
gedrungener, erstaunlich kleiner Mann, nicht größer als
1,60 Meter vielleicht. Er trug einen weißen Thoube, das
traditionelle knöchellange saudische Gewand, und einen
blütenweißen Shemagh auf dem Kopf. Seine Brille war
schlicht und seriös anthrazit-farben. Er trug einen
angedeuteten Schnurrbart, aber keinen Bart.
Qahtani genoss
gerade einen kleinen Sieg gegen das Innenministerium. Damals war
schon seit Februar 2007 der ehemalige Richter Suleiman Al Raschudi
inhaftiert. Ihm wurde vorgeworfen, zusammen mit vier anderen eine
illegale Menschenrechtsorganisation in Dschidda gegründet und
die Loyalität gegenüber dem König aufgekündigt
zu haben. Der letzte Anklagepunkt ist Standard für politische
Aktivisten im Königreich.
Al Raschudi ist
einer der Mitbegründer von ACPRA. Er ist schon Mitte siebzig.
Im April 2011 wurde er auf Kaution entlassen. Im Dezember 2011 wurde
er wieder verhaftet und büßt seitdem eine 15-jährige
Gefängnisstrafe ab.
Al Qahtani sagte,
ACPRA habe das Innenministerium in den vergangenen Wochen soweit
gebracht, dass es keinen Vertreter mehr zu Raschudis
Gerichtsverhandlungen schickte. Das war Qahtanis kleiner Sieg. In
der Nacht vor der Verkündung der Entscheidung allerdings hat
dann das Innenministerium die Kammer für nicht zuständig
erklärt und das Verfahren an eine Kammer delegiert, die
angeblich in Al Raschudis Gefängnis tagen würde. „Wir
nerven das Innenministerium, wo wir können“, sagte
Qahtani und lachte gönnerhaft. „Wir sind wie Mäuse,
die die Katze langsam in die Ecke tanzen. Irgendwann wird sie
anfangen, Fehler zu machen.“
Qahtanis Büro
erschien vollgestopft, mit zu vielen Büchern in den Regalen und
Aktenordnern und Papieren auf dem Schreibtisch. Er schien sich aber
darin auszukennen. Er griff immer wieder einmal nach einem Dokument
und zeigte es mir. Das hier musste also sein Büro sein.
Wahrscheinlich arbeitete er wirklich in diesem Institut.
Zwei Monate später
in Qatif, der Hochburg der Schiiten in der Ost-Provinz, sagten Sayed
Ali und seine Freunde, Qahtani müsse für den Geheimdienst
arbeiten. Sie organisierten die Demonstrationen dort. Was er sich
herausnahm. Unglaublich! Trotzdem werde er nicht festgenommen. Dass
er für den Geheimdienst arbeite, sei die einzig mögliche
Erklärung.
Dieselben Fragen
stellte ich mir auch. Wer war dieser Mohammed Al Qahtani? Warum nahm
er sich heraus, was sich andere nie getraut hätten.
Ich fragte Qahtani
nach seiner Biographie – die er mir völlig freimütig
schilderte. Er ist sechsundvierzig Jahre alt, verheiratet und hat
fünf Kinder. Mit einem Stipendium der saudischen Regierung
schrieb er seine Doktorarbeit an der Universität von Indiana.
Danach kam er wieder zurück und unterrichtete seitdem als
Dozent für Wirtschaft am Riader Institut für Diplomatische
Studien.
Der einschneidende
Moment in seiner Biographie war aber die Gründung der
Saudischen Vereinigung für politische und zivile Rechte
(ACPRA). Denn als er zusammen mit sechsundvierzig anderen im Oktober
2009 einen offenen Brief an den König schrieb, brachte so etwas
noch Gefängnis ein oder Exil.
Dieser Brief, das
spätere Gründungsmanifest von ACPRA, war so etwas wie eine
offene Kriegserklärung an das Königshaus. Freie Wahlen
müssten ab- und Menschenrechte eingehalten werden, forderten
die ACPRA-Gründer. Außerdem müssten die Privilegien
der mehrere tausend Mitglieder umfassenden königlichen Familie
abgeschafft werden. Weiter hieß es in dem Manifest, der Islam
könne dem Königreich bei der Bewältigung seiner
mannigfaltigen Probleme nicht mehr helfen. Die strikte wahabische
Auslegung des Islam ist der absolute Grundpfeiler der saudischen
Monarchie. Der Koran gilt als Verfassung des Landes.
Als Berichte über
die Vorbereitungen des Manifests zum saudischen Geheimdienst
durchsickerten, fing der an, Leute um Qahtani herum zu verhören.
Die ACPRA-Gründer entschieden, den Brief am nächsten Tag
zu veröffentlichen, solange sie noch
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