Im Königreich der Frommen (German Edition)
der
Stirnseite mit einer Lautsprecheranlage. Aus den Lautsprechern drang
eine Stimme in Arabisch. Aber wo der Sprecher war, konnte ich nicht
sehen.
Neben der Wiese
stand ein flaches Gebäude mit einer langen Fensterfront aus
Glas. Auch darin saßen Männer dichtgedrängt auf dem
Boden, auch sie richteten ihren Blick auf eine Bühne in dem
Saal, auch dort sah ich ein Mikrofon. War dort vielleicht der
Sprecher, den wir hörten?
Wie die saudischen
Familien spazierten Abdulaziz und ich um die Männer auf der
Wiese herum. Der kleine Mann hatte sich am Parkplatz verabschiedet.
Soweit ich das verstand, wollte er sich uns später wieder
anschließen.
Um uns herum
tollten Kinder. Junge Männer schnatterten gutgelaunt
miteinander. Ja, so ging saudische Freizeit. Nur ich fühlte
mich immer unwohler. Auf was guckten die spazieren gehenden
Familien? Warum saßen da diese Männer auf der Wiese? Mir
kamen sie ein bisschen vor wie Vieh, das auf einem Markt bestaunt
wurde. Auf was warteten sie? Und vor allem, was machte ich hier?
Welche Rolle spielte ich? Was ging hier vor sich?
Abdulaziz klärte
mich auf. Die Männer auf der Wiese waren neue Gläubige.
Sie hatten sich entschlossen, den Islam anzunehmen. Das war ihre
Zeremonie. Sie wurden gerade in die Mitte der Gemeinschaft der
Gläubigen aufgenommen.
Und die saudischen
Familien, die um sie herum spazierten? Laut Abdulaziz begrüßten
sie sie.
Das war ja alles
recht und schön. Aber warum hatte Abdulaziz mich hierher
gebracht? Warum schaute ich dabei zu? Begrüßte ich sie
auch?
„ Na ja, das
ist doch interessant. Du könntest auch dabei sein. Du könntest
auch den Glauben annehmen.“
Schlug Abdulaziz
gerade ernsthaft vor, ich solle Muslim werden?
Weil er meinen
Widerwillen spürte, hatte er den letzten Teil seines Satzes
schon nicht mehr ohne Zögern herausgebracht.
Abdulaziz schlug
vor, in ein Zelt am Ende der Wiese zu gehen. Dort sei eine
Ausstellung. „Nur gucken. Ehrlich“, sagte er.
Ich überlegte,
was ich machen sollte. Gleich das Heil in der Flucht suchen?
Vielleicht war der kleine Mann in dem Zelt. Was war eigentlich seine
Rolle bei der ganzen Sache? Ich beschloss, erst einmal abzuwarten,
was noch passieren würde. Fliehen konnte ich wahrscheinlich
später auch noch.
In dem Zelt war
tatsächlich eine kleine Ausstellung mit einem halben Dutzend
Ständen. Schon am Eingang schlug mir ein überwältigender
Geruch von alter Pisse entgegen. Ob er von den nervösen neuen
Gläubigen abgesondert wurde oder von den Kindern, die hier um
die Stände tollten, ich weiß es nicht. Der Geruch raubte
mir den Atem. Es war kaum auszuhalten.
Abdulaziz fing an,
mit einem Mann hinter einem Stand zu plaudern. Er forderte mich auf,
mir eines der angebotenen Bücher anzuschauen. Oberflächlich
blätterte ich durch eines der Pamphlete. Es war so bunt wie
alle Bücher hier, schön klar strukturiert und einfach zu
verstehen – wie für Kinder. Wenn ich die
Missionsliteratur sah, frage ich mich immer, ob ich wirklich eine
Broschüre brauchte aus der Klippschule der frommen Gelehrten,
die mir erklärte, wie sie glaubten, die Welt war entstanden?
Aber vor allem
fragte ich mich, wie genau ich eigentlich hierher gekommen war? Auch
der Geruch nach Pisse stieg mir wieder die Nase hoch. Und: Musste
Abdulaziz nicht meine Höflichkeit, dass ich nicht ging, musste
Abdulaziz das nicht als Zögern missverstehen, dass ich nicht
sicher war, ob ich nicht doch Muslim werden sollte? Ich sah ihn, mir
den Rücken zuwendend, in ein Gespräch mit dem Händler
vertieft.
Ich rannte nicht,
ich ging langsam und unauffällig nach draußen und atmete
erst einmal tief durch. Dann blickte ich mich kurz um und machte
mich auf den Weg.
Durch Abdulaziz
habe ich verstanden, warum im Königreich der Frühling
ausblieb, aber das gab ihm nicht das Recht, mich in klebrige
Situationen zu bringen.
Als ich zuhause
ankam, sah ich drei Anrufe von ihm auf meinem Telefon. Drei Anrufe,
die ich nicht beantwortet habe.
DIE EIN MANN-OPPOSITION
Mohammed Al Qahtani
war der erste im Königreich, über den ich schrieb. Was ich
über ihn und eine Organisation namens ACPRA las, war schlicht
und einfach kurios.
Im November 2010
zum Beispiel kündigte ACPRA ein friedliches Sit-in vor dem
saudischen Innenministerium an, um gegen willkürliche
Verhaftungen der Sicherheitskräfte zu protestieren. Diese
Ankündigung aus dem Königreich der Frommen klang so
exotisch, dass vor allem US-amerikanische Medien über sie
berichteten. Zwar fiel
Weitere Kostenlose Bücher