Im Königreich der Frommen (German Edition)
westlichen Medien darüber
berichten.“
Ein junger Mann war
zum ersten Mal gekommen. Er hatte den Bart der Gläubigen und
den Schemagh trug er lose über den Kopf geworfen, wie es die
Religiösen tun. Er sagte, seinem Bruder werde vorgeworfen, er
sei Al Quaida-Mitglied. Seit mehr als einem Jahr werde er ohne
ordentliches Verfahren festgehalten. Mohammed machte uns
Journalisten auf den Fall aufmerksam. Wir notierten die Details und
Mohammed versprach, sich um den Fall zu kümmern.
Ein paar Tage zuvor
hatte der ägyptische Präsident Hosni Mubarak zurücktreten
müssen. Als Mohammed mich nach Hause brachte, sagt er im Auto:
„Es liegt der Wind der Veränderung in der Luft.“
Und fächelte sich dabei genießerisch mit den Händen
das frische Gefühl in die Nase.
Nach ägyptischem
Vorbild war für Mitte März im Königreich ein „Tag
der Wut“ geplant. Mohammed war euphorisch. Er war sich sicher:
„Die Menge wird riesig sein.“ Am Tag unmittelbar davor
allerdings nicht mehr so sehr: „Entweder die Leute kommen in
Massen, oder es kommt keiner.“ Und am Tag danach – als
niemand gekommen war – wusste er schon wieder, woran es
gelegen hat: „Bei so einem Polizeiaufgebot konnte natürlich
niemand demonstrieren.“
Mindere Rückschläge
wie diese steckte er weg ohne Spuren der Enttäuschung. Ist er
unerschütterlicher Optimist?, fragte ich ihn deshalb
irgendwann.
„ Na klar, das
muss ich ja sein“, sagt er ohne nachzudenken und erzählte
dann gleich, wie ihn am Morgen eine Frau angerufen hat, deren Bruder
kürzlich festgenommen wurde. Sie wolle nun, dass Mohammed
versuche, den Bruder frei zu bekommen.
Von solchen Fällen
berichtete er immer, wenn ich ihn eine Weile nicht angerufen hatte.
Damit ich keinen falschen Eindruck bekam: Auch wenn es kaum
wahrzunehmen war, er und die Seinen wurden immer mehr!
Es war schon so.
Andauernd klingelte sein Telefon. Aber das große Interesse an
ihm kam nicht aus dem Königreich. Da er wirklich so gut wie der
Einzige war, der freimütig über das Königreich
sprach, gab es kaum eine westliche Zeitung, die über das Land
geschrieben und ihn nicht zitiert hat. Ein langes Stück von
„Newsweek“ fiel mir auf über Frauen, die gegen die
Inhaftierung ihrer Angehörigen protestiert hatten und selbst
festgenommen wurden. Mohammed hatte die Interviews mit den Frauen
organisiert. Der amerikanische Journalist sprach mit ihnen über
Mohammeds Skype-Anschluss. „Time“ war das erste Magazin,
das mit einer saudischen Frau im Auto mitfuhr. Die Fahrerin war
Mohammeds Frau. Wir Journalisten liebten ihn.
Für das
Porträt über ihn schaute ich mir eines seiner Seminare am
Institut für Diplomatische Studien an. Es fand am Samstag
Morgen statt, der ersten Stunde der Woche. Wie Mohammed die Nase zu
rümpfen schien über die zehn angehenden Diplomaten in
seinem Seminar. Wie er sie mit ihren Hausaufgaben auflaufen ließ.
Einige hatten sie anscheinend schon wieder nicht gemacht, andere nur
schlampig. Jemand der nicht im Königreich unterrichtete, hätte
gedacht, warum ist dieser Dozent denn so schlecht gelaunt. Aber ich,
ich sah mich selbst.
Was Mohammed über
die saudische „Rentenökonomie“ sagte, die allein
auf dem Export von Erdöl basierte. Eine solche Wirtschaft sei
nicht nachhaltig, dozierte er, als er vor der Tafel auf und ab
marschierte. Auf die Dauer sei sie nicht zu halten. Ein paar Mal
fordert er seine Studenten auf, nicht blind den saudischen Quellen
zu trauen. In ihrem Studium würden sie andauernd damit
konfrontiert.
Warum sah er die
Mängel seines Landes allzu offen da liegen, aber seine
Landsleute nicht? Ob es etwas damit zu tun hatte, dass er acht Jahre
in den USA studiert und dort seine Doktorarbeit gemacht hat, fragte
ich ihn nach dem Seminar. „Das kann schon sein“, sagte
er. „Aber ich dächte sicher nicht anders, wenn ich
woanders studiert hätte.“
Obwohl kein Anwalt,
hat Mohammed sich in das saudische Straf- und Prozessrecht
eingelesen, damit er als einer der Verteidiger in Verfahren gegen
das Innenministerium auftreten kann. ACPRA hat nämlich
herausgefunden, dass man bei den saudischen Beschwerde-Kammern das
Innenministerium verklagen kann.
Die saudischen
Sicherheitskräfte haben das Recht, Verdächtige sechs
Monate ohne Anklage festzuhalten. In den meisten europäischen
Ländern darf das die Polizei achtundvierzig Stunden lang. Aber
das Königreich wollte 2005 in die Welthandelsorganisation
aufgenommen werden, deshalb musste es sich auf die sechs
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