Im Königreich der Frommen (German Edition)
Einkommen zu
verlieren.
„ Meine
Freundin hat mir gesagt: ,Die Polizei glaubt dir sowieso nicht'“,
erinnert sie sich. „Du hast zwei Möglichkeiten. Entweder
du hältst es aus oder du läufst weg.“
Maria Estramo
blieb. Aber irgendwann wurde sie krank. „Ich bekam einen
Ausschlag an den Armen und im Gesicht. Wahrscheinlich weil ich
einfach zu wenig geschlafen habe“, sagte sie heute. Ihr
Sponsor ließ sie jedoch nicht ins Krankenhaus gehen, denn dort
hätte man nach ihrem Iqama fragen können. „Der Mann
sagte immer, ,Bald, bald kriegst du dein Iqama. Dann gehen wir zum
Arzt.'“
Nach vierzehn
Monaten lief Maria Estramo weg. Eine Freundin, die Krankenschwester
ist, vermittelte sie an einen Arzt, bei dem sie als Hausmädchen
anfing. Auch dort bekam sie kein Iqama, aber zumindest half der Arzt
ihr, ihren Ausschlag los zu werden.
Heute arbeitet
Maria Estramo immer noch als Hausmädchen, aber nur tageweise.
Sie schläft bei Freunden auf der Couch in dieser Wohnung in
Manfuah oder auf dem Boden. Weil sie immer Angst haben muss, dass
sie von der Polizei kontrolliert wird, geht sie nur auf die Straße,
wenn sie wirklich muss.
Trotz all dieser
Schwierigkeiten hat Maria Estramo bisher pünktlich jeden Monat
ihren Lohn nach Hause überwiesen. Selbst als sie nur 140 Euro
im Monat verdiente, schickte sie 110 davon nach Hause.
Sie holt das Foto
von ihrem Sohn aus ihrer Brieftasche und streicht mit dem Finger
darüber. „Damit er in die Schule gehen kann. Dafür
mache ich das alles“, sagt sie mit einem liebevollen Blick. In
ihre Augen treten wieder Tränen.
Ihren Eltern und
ihrem Sohn hat sie im übrigen nichts davon erzählt, wie
sie hier behandelt wird. „Meine Mutter hat einen hohen
Blutdruck und ein schwaches Herz. Das würde sie umbringen“,
sagt sie. „Wenn wir telefonieren, sage ich immer, es geht mir
gut. Alles ist in Ordnung.“
Das ist Maria
Estramos Seite der Geschichte. Als ich vorgeschlagen habe, ihren
ersten Arbeitgeber mit ihren Vorwürfen zu konfrontieren, hat
Maria Estramo sofort gedroht, das Interview abzubrechen. „Nein,
auf keinen Fall. Nein, niemals“, sagte sie, ihre Augen weit
vor Angst. „Niemals. Das können Sie nicht machen.“
Ihre Version mag
sich stark unterscheiden von der ihres Arbeitgebers, aber im Kern
gleicht sie Berichten von vielen anderen Hausmädchen im
Königreich. Das ist schwer zu leugnen.
Die zwei
englischsprachigen Zeitungen in Saudi Arabien werden von vielen
Gastarbeitern gelesen. Deshalb greifen sie die schlimmsten Fälle
des Missbrauchs an den Dienstmädchen auf. Fast im Wochentakt
berichten „Arab News“ und „Saudi Gazette“
über die Horror-Geschichten der Hausmädchen, die weit über
schlechte Arbeitsbedingungen hinausgehen. Dagegen erscheint der Fall
von Maria Estramo fast zivil. Es gibt schlimmere Fälle. Viel
schlimmere.
Im Juni 2011 zum
Beispiel wurde ein Hausmädchen aus Sri Lanka aus einem Haushalt
in Jizan befreit, im Südwesten des Königreiches. Dreizehn
Jahre war sie von ihrem Arbeitgeber ohne Bezahlung festgehalten
worden. Sie durfte das Haus nicht verlassen, nicht telefonieren.
Ihre Familie dachte, sie sei tot, weil sie schon seit Jahren nichts
mehr von ihr gehört hatte.
Schon im Februar
war der Fall einer sri-lankischen Frau bekannt geworden, die
siebzehn Jahre im Königreich als Sklavin gehalten wurde. Als
sie befreit wurde, hatte sie ihre Muttersprache vergessen und
„verhielt sich wie ein Roboter“, berichtete die „Arab
News“.
Das sind keine
Einzelfälle. Vielmehr scheinen in Saudi Arabien
Arbeitsbedingungen, wie sie Maria Estramo schildert, die Regel zu
sein. Eine Human Rights Watch-Sprecherin (HRW) sagte schon in einer
Pressekonferenz anlässlich der Veröffentlichung eines
HRW-Berichts über die Situation von Gastarbeitern in Saudi
Arabien im Jahr 2008: „Wir haben Männer und Frauen in
Umständen angetroffen, die der Sklaverei ähneln.“
Sie bemängelte vor allem „das unbeschreibliche Versagen
des saudischen Rechtssystems, [den Gastarbeitern] Gerechtigkeit
widerfahren zu lassen.“
John Monterona von
Migrante Middle East kommt zu demselben Schluss. Er sagt: „Täglich
werden uns zwischen sechs und zehn Fälle des sexuellen
Missbrauchs oder der Gewaltanwendung gegen Hausangestellte gemeldet.
Leider jedoch“, so Monterona, „werden die saudischen
Behörden nur aktiv, wenn die internationale Presse die Fälle
aufgreift.“ Selbst dann jedoch, sagt er, seien die Ergebnisse
der Ermittlungsverfahren oft
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