Im Königreich der Frommen (German Edition)
Küche
läuft laut der Fernseher mit einer philippinischen Talkshow. In
der Wohnung steht ein überwältigender Geruch von altem
Essen und alten Kleidern. Sie ist so vollgestellt mit alten Möbeln,
dass man kaum atmen kann, und so eng, dass man in einer Ecke warten
muss, wenn einem einer von der Toilette entgegenkommt.
Zehn Männer
und Frauen, darunter zwei Ehepaare, leben hier auf engstem Raum
zusammen. Eine der Freundinnen sagt, die Religiöse Polizei
kommt immer wieder in Wohnungen wie diese. Angstvoll schaut sie zur
Tür, als würden die Truppen des Propheten gleich
hereinplatzen. Vor den Nachbarn müssen sie hier auf der Hut
sein, denn sie brechen das saudische Gesetz in mehrfacher Hinsicht.
Alle in der Wohnung sind illegal im Land, und Unverheiratete dürfen
sich im Königreich eigentlich nicht im selben Raum aufhalten.
Deshalb müssen sie fürchten, denunziert zu werden.
Maria Estramo hatte
eine einfache Kindheit, sagt sie. In einer Familie mit drei
Schwestern und zwei Brüdern. Nein, hungern musste sie nicht,
aber im Überfluss gab es auch nichts. Ihren Schulabschluss hat
sie gemacht, sogar den der Mittelschule. Aber eine Berufsausbildung
hat sie nicht.
Was will man schon
groß machen auf den Philippinen? Ein Land mit einer
Arbeitslosenquote von dreißig Prozent. „Das Einzige, das
wir exportieren, sind Leute“, sagt John Monterona, Koordinator
von Migrante Middle East in Saudi Arabien, einer Lobbygruppe für
philippinische Gastarbeiter. Allein eine Million Philippinos leben
und arbeiten wohl in Saudi Arabien. Elf Millionen, rund zehn Prozent
der Bevölkerung des Landes, weltweit. Die Auslandsphilippinos
schicken jährlich Geld in der Größenordnung von
siebzehn Milliarden Euro, oder rund zehn Prozent des philippinischen
Bruttosozialprodukts, nach Hause. Ohne das Geld würde die
Wirtschaft des Landes in sich zusammenfallen wie ein Kuchen aus
trockenem Sand.
Auf den Philippinen
hat Maria Estramo nie in einem Beruf gearbeitet. „Was wollen
Sie dort arbeiten!“, sagt sie, erstaunt über die Frage.
Sie hat bei ihren Eltern zuhause gelebt, den Haushalt gemacht,
Gemüse und Früchte im Garten angebaut, das kleine Feld der
Familie bestellt.
Aber dann wurde sie
schwanger. Von einem verheirateten Mann. Und sie ist Muslima. Selbst
auf Mindanao mit seinem gemäßigten Islam wird das nicht
gerne gesehen. Also blieb sie weiter bei ihren Eltern. Was wollte
sie machen?
Von einer Freundin,
die damals in Kuwait als Hausmädchen arbeitete, bekam sie die
Adresse einer Vermittlungsagentur. So kam sie ins Königreich.
Damals dachte sie, nun hat sie es geschafft, nun wird sie unabhängig
sein, nun wird sie ihr eigenes Leben aufbauen können. Aber
dieser Traum zerplatzte prompt, wie ein zu schnell aufgeblasener
Luftballon.
Auf dem Papier
hörte sich alles phantastisch an. Sie würde als Putzfrau
arbeiten in einem Krankenhaus in Riad. Umgerechnet 310 Euro
monatlich sollte sie verdienen, bei freier Verpflegung und
Unterkunft. Für eine Philippina wäre das die Welt gewesen,
aber es kam natürlich anders. Am 17. November 2007 war das. Das
Datum, wie alle weiteren, die ihr Leben im Königreich geprägt
haben, weiß sie bis heute auswendig.
Aber es kam anders.
Wie bei eigentlich allen Philippinos, die nach Saudi Arabien kommen,
bekam sie nämlich, als sie hier landete, auf einmal einen ganz
anderen Arbeitsvertrag. Nun war sie auf einmal ein Hausmädchen
mit einem Salär von 140 Euro. Und die Verpflegung musste sie
auch selbst bezahlen.
Aber das war nicht
das Schlimmste. Sie war nun auf Gedeih und Verderb einer saudischen
Familie ausgesetzt. Und die behandelte sie wie andere Leute einen
Ackergaul behandeln oder einen Maulesel.
Die Familie wohnte
an der Autobahnausfahrt 10, einem typischen Viertel mit weiten
Straßen und Wohnhäusern mit hohen Mauern drum herum. Der
Mann war Angestellter der Wasserbehörde. Die „Madam“,
wie Hausmädchen ihre Chefin nennen, war zuhause. Die Familie
hatte vier Töchter und einen Sohn im Teenager-Alter.
Ein typischer
Arbeitstag sah für Maria Estramo so aus, dass sie morgens um 4
Uhr 30 aufstand und begann, das Frühstück zu machen. Das
servierte sie um 5 Uhr 15. Dann fuhr sie mit der ältesten
Tochter zur Schule, denn „es wäre nicht gut, wenn das
Mädchen mit dem Fahrer allein ist“. Das sagt sie wie
selbstverständlich. Nach fast vier Jahren im Königreich
kennt sie die Gepflogenheiten hier. Denn es gilt hier als
ausgemacht, dass Männer sich nicht beherrschen können.
Bei
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