Im Königreich der Frommen (German Edition)
Innenministeriums General Mansur Al
Turki, die Polizei habe Anweisungen bekommen, fahrende Frauen nicht
festzunehmen. Die Regierung wolle die Entscheidung, ob Frauen fahren
durften oder nicht, den einzelnen Familien überlassen, sagte
er.
Dann, am 28. Juni,
elf Tage nach Beginn der Kampagne, kam die Wende. Am frühen
Dienstag Morgen nahmen Mitglieder der religiösen Polizei vier
Frauen fest. Die Vier fuhren in der Hafenstadt Dschidda zusammen in
einem Auto. In der Nacht hatte die reguläre Polizei dort eine
weitere Frau festgenommen. Es gab keinerlei offizielle Reaktion der
saudischen Behörden nach den Festnahmen, aber nach
Medienberichten waren alle Frauen wieder auf freiem Fuß.
War das das Ende
der aufregenden Tage?
„ Nein, wir
sind seitdem ganz normal gefahren“, sagte mir die Studentin
Sara Khalidi. „Wir waren uns immer bewusst, dass wir verhaftet
werden können. Die Situation ist nur so eigenartig. Wir wissen
nicht, was das Regime will. Wir befinden uns in so einer Art
rechtlichem Niemandsland.“ Und die Sprecherin der Kampagne
Eman Al Nafjan sagte mir, die Frauen würden sich auf keinen
Fall einschüchtern lassen: „Die, mit denen ich in Kontakt
war, sind besorgt, aber sie sagen, sie werden weiterhin fahren.“
Und was dachte ich?
Die religiöse Polizei im Königreich, schrieb ich, sei für
ihre Alleingänge bekannt. Deshalb sei es unwahrscheinlich, dass
die Festnahmen in Dschidda ein Ende der de facto-Duldung der
Sicherheitskräfte darstellten. Vielmehr dürften sie ein
weiteres Indiz für das Ringen innerhalb des Königshauses
sein und das rechtliche Vakuum, das daraus entstand.
Tja, wie man sich
doch täuschen kann. Genau das waren die Festnahmen nämlich
nicht. Vielmehr bedeuteten sie wirklich das Ende der aufregenden elf
Tage, in denen die Frauen im Königreich einmal straflos fahren
konnten.
Kurz darauf nämlich
hieß es, die in Dschidda festgenommenen Frauen müssten
sich vor Gericht verantworten. Am 26. September wurde Schaima
Jastaina, ein der vier in Dschidda festgenommenen Frauen, zu zehn
Peitschenhieben verurteilt. Aber König Abdullah, ohne Zweifel
einen Aufschrei in der westlichen Presse fürchtend, begnadigte
sie.
Auch Najla Hariri,
die Hausfrau und Mutter von fünf Kindern in Dschidda, wurde von
der Polizei angehalten und aufs Revier gebracht. Ebenso wie ihr
Ehemann musste sie eine Erklärung unterschreiben, dass sie
nicht mehr fahren werde. Außerdem sollte sie angeklagt und vor
Gericht gestellt werden.
Ich fragte sie, ob
sie weiter fahren werde. Sie sagte: „Nein, das kann ich nicht.
Sonst würde auch mein Mann Schwierigkeiten bekommen.“ Zu
einem Verfahren gegen sie kam es nicht. Das religiös-konservative
Lager hatte wieder einmal gewonnen.
Ende Dezember 2011
wurde dann der Inhalt eines wissenschaftlichen Gutachtens bekannt,
das sich mit den Folgen einer möglichen Abschaffung des
Fahrverbotes für Frauen auseinandersetzte. Geschrieben war es
von einem ehemaligen Universitätsprofessor und in Auftrag
gegeben vom Obersten Rat der Kleriker, der höchsten religiösen
Autorität des Königreiches. Das Gutachten wurde beim
Schura-Rat eingereicht, der den König beratenden Versammlung
von Fachleuten.
Auf den bunten
Seiten der westlichen Presse führte es zu einiger Heiterkeit,
völlig zu Unrecht jedoch, denn das Gutachten war wirklich die
absolut ernst gemeinte Reaktion des religiös-konservativen
Lagers im Königreich auf die elf aufregenden Tage im Juni, als
die Frauen des Landes einmal gefahren waren.
Sollte das
Fahrverbot für Frauen fallen, hieß es in dem Gutachten,
gebe es bald keine Jungfrauen mehr im Königreich. Die Änderung
der Rechtslage würde nämlich „ein Woge der
Prostitution, Pornographie, Homosexualität und Scheidung
hervorrufen“. Dieser moralische Verfall sei schon in anderen
muslimischen Ländern zu sehen, in denen die Frauen fahren
durften. Mit einigen Details beschreibt der Professor seine Erfahrung, als er in einem
ungenannten arabischen Land in einem Café saß: „Alle
Frauen schauten mich an. Eine machte eine Geste, die klar machte,
dass sie zur Verfügung stand. …das passiert, wenn es
Frauen erlaubt ist zu fahren.“
Ja, klar, das
passiert. Und nichts anderes. Ende März 2013 wurde jedoch auf
einmal bekannt, dass der Schura-Rat bald über das Fahrverbot
für Frauen diskutieren wird. Deshalb rief ich Manal Al Scharif
an. In einem Telefonat Anfang April sagte sie mir, die Entscheidung
des Schura-Rates sei ein „bedeutender Erfolg“
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