Im Königreich der Frommen (German Edition)
für
„Women2Drive“.
Mit ihrem
brasilianischen Mann lebt Manal Al Scharif inzwischen in Dubai. Dass
sie das Königreich verließ, habe jedoch allein mit
persönlichen Gründen zu tun, nicht politischen, sagte sie.
Ohnehin sei sie die halbe Woche im Königreich, um Zeit mit
ihrem Sohn zu verbringen, der dort mit seinem Vater lebt. „Saudi
Arabien hat sich in den vergangenen zwei Jahren sehr verändert“,
sagte Manal Al Scharif. „Nun sehen die Leute unsere Kampagne
viel, viel positiver.“
Nun glaubt Al
Scharif, das Ende des Fahrverbotes sei absehbar. Seit dem Frühjahr
2011 habe „Women2Drive“ dem Schura-Rat schon vier Mal
diese Petition vorgelegt, die dieser jeweils abgelehnt habe zu
diskutieren. Diesmal jedoch nicht. „Der Schura-Rat diskutiert
nur Themen, die der König abgenickt hat“, sagte Al
Scharif. „Wir wissen also, dass der König sein
Einverständnis gegeben hat.“
Sie warnte jedoch
auch gleich davor, jetzt einen schnellen Erfolg zu erwarten. „Sicher
ist das ein Durchbruch. Aber der Schura-Rat kann sehr, sehr lange
brauchen, um zu einer Entscheidung zu kommen. Manchmal kann es fünf
Jahre dauern.“
Wer so oft daneben
liegt, sollte sich eigentlich mit Prognosen zurückhalten, aber
ich gebe Manal Al Scharif Recht. Dass sich der Schura-Rat bereit
erklärt hat, über die Aufhebung des Fahrverbotes zu
diskutieren, ist ein Durchbruch. Zwar sind die Beschlüsse des
Schura-Rates ohne jegliche Gesetzeskraft, aber er diskutiert nicht
über Fragen, zu denen er keine Beschlüsse fassen darf, und
er fasst keine Beschlüsse, die den König vor den Kopf
stoßen würden.
Das Fahrverbot für
Frauen im Königreich wird also in absehbarer Zeit fallen. Das
Einzige, was jetzt noch passieren kann, ist dass der König
vorher in die ewigen Jagdgründe einzieht und dass der neue
König eine andere Meinung zu dem Thema hat.
Auch Najla Hariri,
die Hausfrau in Dschidda, hat mir Anfang April am Telefon gesagt,
sie sei sicher, das Verbot werde bald fallen. Ihren 12.000+
Twitter-Leserinnen hat sie schon zum bevorstehenden Erfolg
gratuliert. Mir sagte sie: „Wenn Gott es will, fahren wir
nächsten Monat.“
AUTO-STADT, AUTO-LAND
Wir
rasen hier mit 130 Sachen. Links und rechts ziehen Wohnhäuser
vorbei, mit ordentlich geparkten Autos davor. Einige sind noch nicht
mal fertig gebaut. Drinnen dröhnt laut Kesha, eine
amerikanische Rapperin, aus den Lautsprechern. H ot
and dangerous/if you 're one
of us then roll with us ,
singt sie, und die vier jungen Männer im Auto, allesamt um die
zwanzig, singen laut mit. Heute sind sie richtig gut gelaunt. Denn
auf ihren Donnerstagabend, den saudischen Sonnabend, freuen sie sich
die ganze Woche. Da gehören auch Drogen dazu. Wirklich? Ja,
klar. Amphetamine, Gras, egal, irgendwas, Hauptsache es macht Spaß.
Und das tut es offensichtlich.
Plötzlich
reißt Hani (alle Namen habe ich geändert) das Lenkrad
scharf nach links. Das Heck bricht aus und schert nach vorne, so
dass die Reifen schrill quietschen. Dann reißt Hani das
Lenkrad nach rechts, und wieder folgt das Heck. Die andern im Auto
wiehern vor Vergnügen. So geht das ein paar Mal, bis Hani
schließlich das Heck überholen lässt. Knapp vorbei
an den parkenden Autos am Straßenrand, rotiert der Wagen jetzt
in ein paar schnellen 360-Grad-Drehungen, bis er schließlich
fast zum Stehen kommt. Dann steigt Hani wieder aufs Gas, und das
Ganze beginnt von vorne, jetzt mit 130 zurück auf der
gegenüberliegenden Fahrbahn.
„ Du
darfst auf keinen Fall die Handbremse ziehen“, sagt Hassan und
dreht sich zur mir um. Er sitzt auf dem Beifahrersitz und hat es
übernommen, mir die Manöver in wichtigem Tonfall zu
erklären. „Das können die anderen draußen
sehen. Wenn du sie ziehst, bist du für immer als Verlierer
verschrien.“
Am Straßenrand
hat die ganze Zeit ein Häufchen Freunde gestanden. Trotz des
fahlen Lichts der Straßenlaternen versuchen sie die wilden
Manöver mit ihren Mobiltelefonen zu filmen. Danach werden sie
selbst in ihre Autos steigen und versuchen, es noch waghalsiger zu
machen. Und wenn es gut aussieht, werden sie es ins Internet
stellen.
Die schnellen
360-Grad-Drehungen aus voller Fahrt nennen sie voller Stolz „Saudi
Drift“. Das ist die gefährlichste Variante des Driftens,
der populärsten Freizeitbeschäftigung junger saudischer
Männer. Inzwischen hat dieses Phänomen jedoch auch in
anderen arabischen Ländern Fuß gefasst.
Bis vor einigen
Monaten haben solche Drifts in der Hauptstadt Riad noch
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