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Im Königreich der Frommen (German Edition)

Im Königreich der Frommen (German Edition)

Titel: Im Königreich der Frommen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Boehm
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fliegen. Aber ich war endlich am Ziel
meiner Träume angelangt: ein normaler Jedi hatte sich bereit
erklärt, mit mir zu sprechen.
    Das Haus der NSHR
in Dschidda ist eine klassizistische Villa direkt an der
Stadtautobahn, nicht weit vom Flughafen, im Norden der Stadt. Sie
hat zwei separate Eingänge, mit Schildern für „Frauen“
und „Männer“ darüber. Sonst wird im Königreich
zwischen „Männern“ und „Familien“
unterschieden. Die Eingänge führen in zwei separate
Haushälften, in denen die beiden Geschlechter getrennt
arbeiten. Zusammen kommen sie nur in einem breiten Konferenzraum,
der sich über beide Haushälften erstreckt.
    Selbst das ist
jedoch ein Tribut an die Moderne. In vielen Institutionen im
Königreich, in denen Frauen arbeiten, kommunizieren sie mit
Männern nur per Videokonferenz oder über das Telefon.
    In diesem
Konferenzraum wartete jeweils eine Mitarbeiterin und ein Mitarbeiter
der NSHR und zwei Frauen, die sich bereit erklärt hatten, mit
mir zu sprechen. Die Übersetzerin, eine lokale Journalistin,
kam ein paar Minuten später.
    Alle stellten sich
der Reihe nach vor. Ich stellte kurz dar, warum ich mit den Frauen
sprechen wollte und hörte mir erst kurz die Geschichte der
einen Frau an, dann der zweiten Frau. Und um es vorweg zu sagen:
Diese beiden Frauen haben mir den Glauben an die Menschheit wieder
zurückgegeben.
    Die zweite Frau war
Mitte dreißig, soweit ich das trotz ihres schwarzen
Gesichtsschleiers abschätzen konnte. Sie war schon ein paar Mal
zur NSHR gekommen, sagte sie, weil ihr Ex-Mann ihre Kinder gegen sie
aufhetzte. Die lebten bei ihm und wollten sie angeblich kaum mehr
besuchen. Ihre Geschichte hatte nur am Rand mit dem
Vormundschaftssystem zu tun, dachte ich. Deshalb sprach ich vor
allem mit der ersten Frau.
    Die sagte früh
im Gespräch, wie zur Erklärung, so dass ich ihre
Geschichte verstehen konnte, sie sei eine Kämpferin. Vielleicht
war das wirklich der Schlüssel zu dem, was sie erzählte.
Eine Kämpferin: Sie ließ sich nichts gefallen, sollte das
heißen. Von niemandem. Auch nicht von Männern. Jetzt
waren wir beim Thema.
    Inzwischen hatte
ich auch meine Hausaufgaben gemacht. Der „Wakheel“ –
ins Englische oft übersetzt als „Wächter“, ins
Deutsche wohl am besten als „Vormund“, ist eine
Spezialität à la Königreich. Die gibt’s nur
da. Jede weibliche Person im Königreich hat einen solchen
Vormund. Für Mädchen ist es der Vater; heiraten sie, wird
es der Ehemann. Stirbt der Vater oder werden die Frauen geschieden,
geht die Vormundschaft oft auf den ältesten Bruder über.
Gibt es keine männlichen Verwandten, geht sie gar auf den
Gouverneur über. Der ist in Saudi Arabien immer ein
hochrangiger Prinz.
    Die Zustimmung
ihres Vormundes brauchen Frauen bei vielen Entscheidungen: wenn sie
zur Schule gehen oder studieren wollen, wenn sie arbeiten wollen,
wenn sie ein Konto bei einer Bank eröffnen wollen, wenn sie ein
Geschäft eröffnen wollen, wenn sie eine Regierungsstelle
betreten wollen, wenn sie ein Hotelzimmer im Königreich buchen
wollen, wenn sie einen Reisepass beantragen wollen, wenn sie ins
Ausland reisen wollen und wenn sie heiraten oder sich scheiden
lassen wollen.
    Außerdem
brauchen sie die Zustimmung ihres Vormundes, bestimmte medizinische
Eingriffe vornehmen zu lassen. Da das das einzige ist, worum es im
Königreich wirklich geht, sind das Eingriffe, die in
irgendeiner Form mit Sex zu tun haben: Abtreibungen (wenn es so
etwas im Königreich gäbe), Sterilisierung; und alles, was
einen Seitensprung verschleiern könnte, also die im Mittleren
Osten beliebte Vagina-Originalzustandswiederherstellung.
    Behörden,
Schulen, die Passkontrolle an der Grenze und andere Institutionen
verlangen entweder die schriftliche Bestätigung des Vormundes
oder seine Anwesenheit, wenn eine Frau aufläuft. Ohne die
werden sie nicht tätig.
    Erst im Jahr 2001
hat Saudi Arabien Ausweisdokumente für Frauen eingeführt.
Davor wurden Frauen mit ihrem Namen, aber ohne Lichtbild auf den
Ausweisen ihres Vormundes geführt. Das gab ihnen den
„rechtlichen Status von Schafen“, wie der
Menschenrechtsaktivist Ibrahim Al Mugaitib mir völlig
zutreffend gesagt hat.
    Da wir aber im
Königreich sind, war es mit den Ausweisen für Frauen nicht
weit her, nicht so weit her auf jeden Fall wie 2001 kolportiert.
Erst im März 2013 wurde nämlich schließlich per
Dekret bestimmt, dass Frauen ab nun Ausweise nicht mehr nur bekommen
dürfen, sondern bekommen müssen.

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