Im Königreich der Frommen (German Edition)
dem Auto direkt hineinfahren kann. Davon gibt es
Hunderte in Saudi Arabien, denn Einkaufen ist eines der wenigen
Dinge, die man hier tun kann und die die Saudis tun, um
abzuschalten.
Die Straßen
in den Städten sind so breit, dass man sie eigentlich zu Fuß
nicht überqueren kann. Ohnehin ist niemand auf der Straße,
niemand geht zu Fuß. Auf dem Gehsteig sieht man nur Leute, die
gerade aus dem Auto gestiegen und auf dem Weg zur Reinigung oder zum
Tante-Emma-Laden sind.
Flanieren
tut hier niemand, selbst nicht in der Innenstadt. Das tut man im
Auto. Saudi Arabien muss eines der wenigen Länder der Welt sein, die
USA eingeschlossen, in denen jemand noch amerikanische Autos fährt.
Aber es ist so. Es gibt alte Dogdes und Pontiacs und Fords, wie in
Hollywood-Filmen aus den siebziger Jahren. Außerdem natürlich
SUVs, die überdimensionierten Spritschlucker, die sich aus
Gelände- zu Familienwagen entwickelt haben. Auch die sind fast
alle direkt aus den USA importiert.
Ein Liter Sprit
kostet hier 45 Halala, acht €-Cent, der Liter Diesel die
Hälfte. Ein Taxifahrer sagte mir gleich am Anfang, schade, dass
man Benzin nicht trinken kann, denn Wasser ist hier teurer. Der
Liter Mineralwasser kostet ungefähr viermal so viel wie der
Liter Benzin.
Es gibt so gut wie
keine öffentlichen Verkehrsmittel. In Riad gibt es drei oder
vier Minibus-Linien, die vom zentralen Markt in Batha durch ein paar
Straßen der Innenstadt fahren. In anderen saudischen Städten
ist das nicht anders. Aber ein respektabler Saudi würde nie mit
so was fahren. Die Minibusse sind für Inder, Pakistanis und die
anderen Gastarbeiter, nicht für Saudis. Fragt man Saudis nach
öffentlichen Verkehrsmitteln, sagen sie, es gibt sie nicht.
„ Ein
richtiger Saudi würde nie mit jemand anderem zusammen in einem
Bus fahren“, sagte mir einer meiner Studenten. „Das wäre
eine Schande, weil man denken würde, er habe kein eigenes Auto.
Wenn drei Brüder zum Einkaufen fahren, fahren sie nicht
gemeinsam in einem Auto, sondern jeder nimmt seinen eigenen Wagen.“
Aber nicht nur als
Statussymbol ist das Auto hier wichtig. (Natürlich gilt das
alles nur für Männer. Frauen dürfen ja nicht fahren.)
Nein, das Auto spielt auch deshalb eine so zentrale Rolle im Leben
der Saudis, weil es der einzige Ort ist, an dem man ein bisschen
ungestört sein kann.
Die saudischen
Familien sind groß und die Sitten sind streng. Freunde zuhause
besuchen können junge Leute nicht einfach, weil da fremde
Frauen sind, die sie nicht sehen dürfen. Wollen sie von der
Familie weg oder gar allein sein, bleibt nicht viel anderes übrig
als ins Auto zu steigen.
So verlegen die
Saudis eine ganze Menge Aktivitäten ins Auto. Öfter als
nicht sieht man sie am Steuer mit dem Ohr am Telefon. Andere essen.
Auf jeden Fall verbringen sie eine ganze Menge Zeit in ihren Wagen.
Deshalb ist es so
beunruhigend, wie sich Saudis in diesem privaten aber doch auch
öffentlichen Raum verhalten. Wenn ich auf dem Fahrrad unterwegs
war, zuckte ich immer zusammen, wenn ein Fahrer hinter mir wild
hupte, weil ich ihnen beim Rasen im Weg war. Das war das Muster des
saudischen Verkehrs: Mit einem Hupen störende Passanten und die
seltenen Fahrradfahrer aus dem Weg schaffen und dann durchrauschen.
Als im Herbst 2010
Geschwindigkeitskameras eingeführt wurden, hat das im
Königreich einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Noch
fast ein Jahr später waren die Zeitungen voll mit dem Ärger
entrüsteter Fahrer über die automatischen Kameras, die
hier „Saher“ genannt werden. Da nützte es auch
nichts, dass ein Sprecher der Polizei von Dschidda sagte, dass seit
ihrer Einführung die Zahl der Unfälle um siebzig Prozent
zurückgegangen sei.
Laut der
UNO-Weltgesundheitsorganisation hat das Königreich weltweit die
größte Zahl an Verkehrstoten im Verhältnis zur
Einwohnerzahl zu beklagen. Möglicherweise hängt das damit
zusammen, dass wenn man Saudis fragt, wie hoch die erlaubte
Geschwindigkeit in den Städten ist, nichts Genaues erfahren
kann. An den Straßen gibt es keine Schilder mit
Geschwindigkeitsbegrenzungen. Und die häufigste Antwort, die
ich bekommen habe, war: 120 km/h auf den Stadtautobahnen, auf den
kleineren Straßen wahrscheinlich weniger.
Viele junge Saudis
benützen eine Software auf ihren Telefonen, die sie vor den
Saher-Kameras warnt. Trotzdem hatten die meisten meiner Studenten
enorme Schulden bei der Polizei wegen ihrer Strafzettel. Bei einigen
waren das mehr als eintausend Euro. Alle
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