Im Königreich der Frommen (German Edition)
könnten – und das sind
alle, die nicht eng miteinander verwandt sind, wie Vater/Mutter,
Sohn/Tochter, Bruder/Schwester, Onkel/Tante, Schwager/Schwägerin
und Schwiegervater/Schwiegermutter – dürfen sich im
Königreich der Frommen nicht gemeinsam in einem Raum aufhalten.
Eine Ausnahme wird
gemacht, wenn eine Frau einem (jungen) Mann die Brust gegeben hat.
Deshalb stillen manche Tanten ihre angeheirateten Neffen. Es müssen
allerdings fünf ganze Mahlzeiten sein und man sollte damit
nicht zu lange warten, weil sonst das Ganze falsch interpretiert
werden könnte.
Diese rigide
Geschlechtertrennung hängt über dem Königreich wie
ein böser Fluch. Sie ist das Alpha und das Omega des „perfekten
islamischen Systems“, wie bis vor einigen Jahren die saudische
Führung die religiös begründete Ordnung im Königreich
noch gerne nannte. Würde sie fallen, fiele das ganze System.
Und da sind die Glaubenshüter vor.
Wegen der
Geschlechtertrennung haben alle öffentlich zugänglichen
Einrichtungen – Schulen, Universitäten, Sportclubs,
Moscheen oder Restaurants zum Beispiel – entweder getrennte
Räume oder gleich getrennte Gebäude; häufiger jedoch
gibt es sie einfach gar nicht, wie öffentliche Verkehrsmittel,
oder es gibt sie einfach nur für Männer, nicht aber für
Frauen.
Natürlich wäre
es wegen der Geschlechtertrennung eigentlich am besten, wenn die
Frauen das Haus nicht verließen, aber das geht wohl selbst im
perfekten System nicht. Deshalb müssen sich die Frauen in der
Öffentlichkeit unkenntlich machen. Sie werden gesichts- und
körperlos, ja, im Grund sind sie nicht voll anwesend.
Außer Haus
tragen alle saudischen Frauen die Abaya, eine tiefschwarze weite
Robe, die vom Kopf bis zum Boden reicht; sowie den Niqab, einen
schwarzen Gesichtsschleier, der nur einen sehr schmalen Schlitz um
die Augen frei lässt.
In anderen Ländern
zieht man Leute so an, um kleine Kinder zu erschrecken, im
Königreich Frauen. Im Vergleich dazu wirken die hellblauen und
rehbraunen Burkas der afghanischen Frauen kokett. Manche Frauen im
Königreich tragen sogar schwarze Handschuhe und ein schwarzes,
leicht transparentes Tuch vor den Augen. Die religiöse Polizei
hat auch schon Frauen befohlen, den Augenschlitz zu bedecken, wenn
sie „wandernde“, das heißt flirtende, Augen
gesehen haben wollte.
Die schwarzen Roben
sind ein beliebtes Gesprächsthema unter westlichen Expatriates.
Jeder meiner Kollegen hatte so seine eigene Vorstellung, an was ihn
die vermummten Frauen erinnerten. Mich mahnte die schwarze
Silhouette der saudischen Frauen unheilvoll an die einer
Vogelscheuche oder des Schnitter Tod; manche gar, die noch
zusätzlich ein schwarzes Tuch über den Kopf nach hinten
warfen und ihm so eine breite, trapezförmige Form gaben, an die
von Darth Vader, den Erzschurken aus „Star Wars“.
Einer meiner
Kollegen aus Neuseeland fühlte sich von den saudischen Frauen
an Gespenster erinnert. „Sie schweben so dahin. Du siehst ja
ihre Füße nicht. Und du hörst sie nie“,
erzählte er mir schon nach seinen ersten paar Wochen im
Königreich.
Er hatte recht. Das
ist auch mir aufgefallen. Wenn ich überhaupt Frauen sah, dann
nur unter sich oder mit ihren Kindern verstohlen tuschelnd. Auf den
Flughäfen wunderte ich mich manchmal, dass die Kinder nicht
ihre Jedi-Mütter verloren. Sie trotteten neben einem Vader her,
aber wer konnte schon sicher sein, dass es der richtige Jedi war,
sie sahen sich ja alle so ähnlich. Außerdem hörte
ich nur selten Funkkontakt zwischen Kind und Vader. Wie die Kinder
am Ende des Fluges noch mit dem richtigen Jedi nach Hause gingen,
blieb mir zeitlebens ein Rätsel.
Ich hörte
Vaders jedoch nicht nur am Flughafen nicht. Ich hörte sie auch
woanders nicht. Ich sah sie nie aufgebracht, lustig oder traurig.
Ich musste mich immer dran erinnern, dass die Jedis auch Leute
waren, die wahrscheinlich zuhause, wenn niemand dabei war, aßen,
stritten oder sogar lachten. Sonst hätte ich es vergessen.
Das war kein
Zufall, haben mir meine Studenten schnell klar gemacht. Mein
CD-Spieler war ausgefallen. Deshalb musste ich einen Hörtext
selbst vorlesen. Es war ein Dialog zwischen einem Mann und einer
Frau. Zur besseren Unterscheidung der zwei Personen las ich den Mann
mit tiefer Stimme und die Frau mit hoher; beide jedoch gleich laut,
denn ich wollte ja, dass mich meine Hörer verstanden.
Sofort
protestierten meine Studenten. „Lehrer, Sie machen das
verkehrt“, sagte ein Student und die anderen
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