Im Königreich der Frommen (German Edition)
berichteten diese Zahl mit
einer Mischung aus Stolz und Ironie. Wenn einer wegen eines
Gerichtstermins im Unterricht gefehlt hatte, quittierte das die
ganze Klasse mit einem lauten Lachen, halb Häme, halb
Anfeuerung. Danach rasten sie einfach weiter.
In einem der
zahlreichen Artikel zum Saher-System zitierte die englischsprachige
„Arab News“ den 26-jährigen Studenten Imran Nasser
mit den Worten, es sei nicht einfach, gleichzeitig zu fahren und auf
dem Telefon die Saher-Kameras vor sich an den Straßen zu
finden. „Ich verstehe nicht, wie die Polizei sich das
vorstellt, dass wir die Ruhe bewahren mit den verschärften
Bedingungen auf den Straßen und den ungeschulten Fahrern“,
sagte er. „Wir tun, was auch immer notwendig ist, um die
riesigen Bußgelder nicht zu zahlen. Versucht uns nicht zu
kontrollieren. Das mögen wir nicht.“
Am Donnerstag und
Freitag, wenn in Saudi Arabien viele Familien – Familien, das
ist der saudische Code für: Frauen – einkaufen gehen,
werden die unverheirateten Männer aus den Ladenpassagen
gebannt. Deshalb mussten sie ihre Versuche, mit dem anderen
Geschlecht in Kontakt zu treten, auch auf die Straße verlegen.
Nun t obt
dort der Wettkampf. Inzwischen werden die jungen Männer immer
aufdringlicher, um an die Telefonnummer eines Mädchens zu
kommen, berichten saudische Zeitungen. Einige machen regelrecht Jagd
auf Autos, in denen sie Mädchen sehen, drängen die Wagen
ab, klopfen an die Scheiben und brüllen ihre Telefonnummer aus
dem Fenster.
Deshalb frage ich
die driftenden Studenten, ob sie auch so etwas machen.
Nein, so etwas
machen wir nicht, sagen sie an diesem Abend und lachen verschmitzt.
Zwei halten ihren Blackberry hoch, das in Saudi Arabien
allgegenwärtige Mobiltelefon, auf dem man Emails empfangen
kann. Dort prangt jeweils das Foto eines Mädchens –
unverschleiert. Sie haben die Ihrige schon gefunden, soll das
heißen.
Wissen das ihre
Eltern ? Nein, nein, sagen sie. Wie bei vielen jungen Saudis ist das
ihr zweiter, geheimer Apparat. Damit können sie stundenlang mit
der Liebsten telefonieren und texten, ohne dass es die Eltern
erfahren.
Einige von den
Driftern wollen nach dem Studium in den USA ihren Master-Abschluss
machen. Die Regierung investiert großzügig in die
Ausbildung junger Saudis und gibt eigentlich jedem, der Englisch
spricht, ein großzügiges Stipendium für das Studium
im Ausland. Fast alle meiner Studenten wollten in die USA.
Ich fragte mich
immer, wie es ihnen in den USA ergehen würde – und vor
allem danach wieder im Königreich. Denken sie denn, dass sie
nach ein paar Jahren in den USA sich wieder in der saudischen
Gesellschaft zurechtfinden werden?, frage ich deshalb.
„ Ja
klar, mein Bruder ist wieder zurück“, sagt Adnan. „Das
geht alles, wenn man nur will.“
Driftet der auch?
„ Nein“,
sagt Adnan. Er muss lachen. „Der ist verheiratet. Dafür
ist er jetzt schon zu alt.
INTERVIEWS MIT FREMDEN FRAUEN
Im Agentur-Schwanz
las ich immer wieder: Im Königreich gilt das
Vormundschaftssystem für Frauen.
Der
Agentur-Schwanz: Der nicht besonders wichtige Hintergrund, der dir
hilft zu verstehen, was du in der Meldung vorne wieder Unglaubliches
gelesen hast. Der einfach von hinten her weggekürzt werden
kann. Zum Beispiel: Der Bürgerkrieg in Syrien hat seit März
2011 70.000 Opfer gefordert – dieser Agentur-Schwanz. Braucht
man nicht wirklich, was da drinsteht. Das weiß eigentlich
jeder. Außer den Deppen, die noch nicht mal das wissen.
Also: Im Königreich
gilt das Vormundschaftssystem für Frauen. Dass das so im
Hintergrund versteckt werden konnte. Echt, wusste das jeder?
Also ich wusste es
nicht. Vor allem wusste ich nicht, was das für die Frauen im
Königreich bedeutete. Deshalb dachte ich irgendwann, dass das
eher nach vorne gehörte. Und ich dachte auch gleich – was
sich diese Journalisten immer so denken – dass es eine gute
Idee wäre, über eine ganz normale Frau im Königreich
zu schreiben und darüber, was das Vormundschaftssystem für
ihr alltägliches Leben eigentlich bedeutete.
Aber natürlich
waren wir im Königreich und ich musste eine solche Frau erst
einmal finden. Was in einem normalen Land eine Sache von einer
halben Stunde gewesen wäre, war hier ein irrer Aufwand, eine
aufreibende zweimonatige Suche, eine Monster-Recherche eigentlich,
eine zur schieren Verzweiflung treibende Odyssee, bis es endlich
klappte.
Natürlich
hätte ich auch die Frauenrechtlerinnen im Königreich
fragen können. Tat
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