Im Koenigreich der Traeume
anderen Seite der Koppel auf dem Boden und schlief tief und fest. »Der Kerl schläft auf seinem Posten«, flüsterte sie überglücklich, und als sie sich zu Brenna umdrehte, setzte sie bestimmt hinzu: »Falls er aufwacht und mich beim Pferdestehlen erwischt, mußt du unseren Plan allein ausführen. Hast du mich verstanden? Bleib immer in den Wäldern, damit dich niemand findet, und geh zu dem Hügel, der hinter uns liegt.«
Ohne auf eine Antwort zu warten, kroch Jenny aus dem Gestrüpp. Am Waldrand blieb sie stehen und sah sich um. Im Lager war alles noch ziemlich still, das graue Morgenlicht gaukelte den Männern vor, daß es noch früher war, als es der Wirklichkeit entsprach. Ein paar Pferde standen fast in Jennys Reichweite.
Der Wachmann rührte sich nur ein einziges Mal im Tiefschlaf, als Jenny seelenruhig zwei nervös schnaubende Streitrösser am Halfter zu dem Seil führte, das um die Koppel gespannt war. Sie stellte sich schwankend auf die Zehenspitzen, um das Seil so hoch anzuheben, daß die Pferde das Gehege verlassen konnten. Keine zwei Minuten später übergab sie ihrer Schwester eins der beiden Tiere, und sie führten sie eilig tiefer in den Wald. Der Hufschlag wurde wirksam von der dicken, taufeuchten Laubschicht gedämpft.
Jenny konnte sich ein jubilierendes Lächeln kaum verbeißen, als sie die edlen Rösser zu einem umgestürzten Baum brachten, den sie als Aufstieghilfe nutzen konnten. Sie saßen längst auf den riesigen Hengsten und waren auf dem Weg zum Gipfel des Hügels, als leise Alarmrufe in der Feme ertönten.
Bei dem Getöse, das kurz darauf losbrach, und den hektischen Rufen der Männer, stießen beide Mädchen gleichzeitig ihre Fersen in die Flanken der Pferde und trieben sie zu einem raschen Galopp durch den Wald an.
Alle zwei waren exzellente Reiterinnen, und es fiel ihnen nicht schwer, rittlings auf einem Pferderücken zu sitzen. Daß ihnen keine Sättel zur Verfügung standen, war unbequem, weil sie die Knie fest zusammenpressen mußten, um den Halt nicht zu verlieren. Die Schlachtrösser faßten das als Befehl auf und beschleunigten den Galopp, bis sich die Frauen tief über die Halfter beugen mußten, damit sie nicht von herabhängenden Ästen getroffen wurden. Vor ihnen war der Bergkamm - und jenseits davon eine Straße, das Kloster und schließlich die Festung von Merrick. Sie machten kurz halt, weil Jenny sich orientieren wollte, aber es drang kaum Sonnenlicht durch das dichte Blätterdach, so daß sie gezwungen war, sich auf ihre Instinkte zu verlassen.
»Brenna«, sagte sie und tätschelte den glänzenden Hals des gigantischen Streitrosses, auf dem sie saß, »erinnerst du dich an die Legenden, die man sich vom Wolf und seinem Pferd erzählt? Hieß es nicht, daß sein Name Thor ist und daß es schneller und geschickter sein soll als jedes andere Pferd im ganzen Land?«
»Ja«, bestätigte Brenna, als die Pferde sich einen Weg durch die Bäume suchten. Sie schauderten leicht in dem kühlen Dämmerlicht.
»Und«, fuhr Jenny fort, »wird nicht auch behauptet, daß es schwarz wie die Sünde ist und einen weißen Stern auf der Stirn hat?«
»Ja.«
»Und hat das Pferd, das ich reite, ein solches weißes Mal auf der Stirn?«
Brenna sah auf und nickte.
»Brenna«, rief Jenny leise und lachte, »ich habe das mächtige Streitroß des Wolfs gestohlen. Seinen Thor!«
Das Tier spitzte die Ohren, als es seinen Namen hörte, und Brenna vergaß ihre Sorgen und brach in schallendes Gelächter aus.
»Deshalb war es sicher festgebunden und stand nicht bei den anderen«, setzte Jenny fröhlich hinzu und betrachtete bewundernd das herrliche Pferd. »Das erklärt auch, warum der Hengst vorhin so viel schneller war als dein Pferd und ich Mühe hatte, ihn zurückzuhalten.« Sie beugte sich vor und tätschelte wieder den breiten Hals. »Du bist eine Schönheit«, flüsterte sie. Gegen das Pferd hegte sie keinen Groll - nur gegen seinen früheren Besitzer.
»Royce!« Godfrey stand in Royces Zelt. Er war wütend, und zudem war sein Gesicht rot angelaufen vor Verlegenheit. »Die Merricktöchter sind ... äh ... entkommen, sie sind seit etwa einer Dreiviertelstunde weg - Arik, Eustace und Lionel suchen den Wald nach ihnen ab.«
Royce wollte nach seinem Hemd greifen, hielt jedoch mitten in der Bewegung inne. Sein Gesicht wirkte fast komisch, als er seinen listigsten und grimmigsten Ritter ungläubig anstarrte.
»Sie sind was!« hakte er nach, während seine Miene erst ein
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