Im Koma
Verbotenes getan?«
Ronald Lerner ignorierte seine jüngere Tochter, als wäre sie gar nicht da.
Casey stöhnte leise im Schlaf, als die fernen Erinnerungen an ihren Vater an ihr Krankenhausbett brandeten. Sie hatte immer gedacht, wenn es ein Wort gab, mit dem man Ronald Lerner beschreiben könnte, wäre es das Wörtchen »zu«. Er war zu gutaussehend, zu reich, zu charmant, zu sportlich, zu aalglatt, sein Lächeln zu verführerisch. Er hatte sich alles -Frauen, Geld, Ruhm, Macht - immer nur einfach nehmen können. Seine Eroberungen - und sie reichten bis in seine Highschool-Zeit zurück - waren legendär: Wie er die Sekretärin des Direktors überredet hatte, ihn einen Blick auf die Aufgaben für die Chemie-Abschlussprüfung werfen zu lassen; wie er es einmal geschafft hatte, dass nicht nur sein Strafzettel wegen Falschparkens zurückgenommen wurde, sondern die Politesse auch noch in seinem Bett gelandet war; wie er mit dem beliebtesten Mädchen der Schule zusammen gewesen war, nur um sie wegen Caseys Mutter abzuservieren.
Caseys Großvater väterlicherseits war ein erfolgreicher Börsenhändler gewesen, der seinem einzigen Kind ein Erbe von mehreren Millionen Dollar hinterlassen hatte, das sein Sohn zu einem riesigen Vermögen vermehrt hatte. Auf dem Weg dorthin hatte sich Ronald Lerner den Ruf eines gerissenen und cleveren Geschäftsmanns, der halblegalen Abkürzungen nicht abgeneigt war, gründlich verdient. Es gab ständig Gerüchte über seine Frauengeschichten, die er nie bestritt, sowie immer wieder Getuschel über halbseidene Machenschaften, das er immer als das Gegrummel neidischer Kleingeister abtat.
»Ist dir aufgefallen, dass er es nicht bestritten hat?«, bemerkte Drew, nachdem ihr Vater seinen Kaffee getrunken und das Haus verlassen hatte.
»Halt die Klappe, Drew.«
»Halt doch selber die Klappe.«
»Glaubst du wirklich, er wusste, dass die Firma kurz vor der Pleite stand?«, wollte Casey von ihrer zwölfjährigen Schwester wissen. »Woher sollte er das gewusst haben?«
»Woher soll ich das wissen?«
»Du weißt gar nichts«, beharrte Casey vehement.
»Du auch nicht.«
»Aber ich kenne unseren Vater.«
»Ja, klar.« Drew stürzte ihren Orangensaft hinunter und stürmte aus dem Zimmer.
Casey blieb mehrere Sekunden lang unbeweglich sitzen, bevor sie die Stirn auf die gläserne Tischplatte legte und in Tränen ausbrach. Sie weinte nicht wegen des Streits mit ihrer Schwester. Mit Drew zu streiten war ein alltägliches Ritual geworden wie Zähneputzen oder Haarekämmen. Nein, sie weinte, weil sie wusste, dass Drew recht hatte: Trotz der gespielten
Gleichgültigkeit ihres Vaters und seines allzu glatten Lächelns hatte ihr Vater nicht bestritten, etwas Illegales getan zu haben.
Und Casey erkannte, dass Drew in noch etwas recht hatte: Sie kannte ihren Vater überhaupt nicht. Sie hatte sich statt von ihren Instinkten von Fantasien leiten lassen. Eine Angewohnheit, die man nur schwer wieder loswurde, dachte sie jetzt und schlug die Augen auf.
Es dauerte einen Moment, ehe Casey erkannte, dass die Dunkelheit, die sie sah, nicht ganz so schwarz war wie vor dem Einschlafen. Noch schneller wurde ihr bewusst, dass sie Umrisse ausmachen konnte - das Ende des Bettes, den Stuhl in der Ecke, das blasse Licht des Mondes, das zwischen den Lamellen der dicken Jalousie ins Zimmer fiel und dem kleinen, von der Decke hängenden Fernseher einen unheimlichen Glanz verlieh.
Sie konnte sehen.
Langsam ließ Casey den Blick von einer Seite zur anderen wandern. Neben ihrem Bett stand ein Stuhl, ein weiterer an der gegenüberliegenden Wand. Rechts neben der Zimmertür ging ein kleines Bad ab, in dem man eine Toilette erkennen konnte. Die Tür zum Flur war geschlossen, doch am unteren Rand schimmerte ein schmaler Streifen Neonlicht. Von jenseits der Tür drangen die gewohnten Geräusche eines Krankenhauses bei Nacht - stöhnende Patienten, Krankenschwestern, die über den Flur eilten, Uhren, auf denen die Minuten bis zum Morgen vertickten.
Casey hörte nahende Schritte und sah einen Schatten auf den schmalen Lichtstreifen unter der Tür fallen. Stand jemand vor ihrem Zimmer und zögerte einzutreten? Wer war es? Und was wollte er mitten in der Nacht von ihr?
Die Tür ging auf. Das unvermittelt helle Licht ließ Casey zusammenzucken, als ob vor ihren Augen die Sonne explodiert wäre. Eine Gestalt betrat das Zimmer, kam ans Bett und ließ die Tür hinter sich zufallen. War es einer der Ärzte? Hatte einer der Monitore,
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