Im Krebsgang
gerundete, schmale, kantige wie pausbäckige Gesichter von Todesanwärtern. Die Uniform ist ihr ganzer Stolz. Ernst blicken sie mich an, als bestimme Vorahnung ihren zuletzt fotografierten Ausdruck.
Die wenigen mir vorliegenden Fotos der dreihundertdreiundsiebzig eingeschifften Marinehelferinnen wirken ziviler, trotz der schrägsitzenden Käppis mit dem frontal geknickten Hoheitsadler. Die sorgfältigen Frisuren der jungen Mädchen - viele werden mittels Dauer- oder Wasserwelle gefestigt worden sein - ringeln sich, fallen zeitgemäß onduliert. Etliche Mädchen mögen verlobt, wenige verheiratet gewesen sein. Zwei oder drei, die mit glatt fallendem Haar sinnlich kühl auf mich wirken, sehen meiner Ehemaligen ähnlich. So sah ich Gabi, als sie in Westberlin ziemlich eifrig Pädagogik studierte und mich auf Anhieb schwach gemacht hat. Fast alle Marinehelferinnen sind auf ersten Blick hübsch, sogar niedlich anzusehen, einige zeigen eine frühe Neigung zum Doppelkinn. Sie blicken weniger ernst als die Jungs. Jede, die mich anschaut, lächelt ahnungslos.
Da von den weit über viertausend Säuglingen, Kindern, Jugendlichen an Bord des Unglücksschiffes keine hundert gerettet wurden, fanden sich nur zufällig Fotos von ihnen, weil mit dem Schiff das Flüchtlingsgepäck und in ihm die Fotoalben geflüchteter Familien aus Ost- und Westpreußen, Danzig und Gotenhafen verlorengegangen sind. Ich sehe die Kindergesichter jener Jahre. Mädchen mit Zöpfen und Haarschleifen, die Jungen links- oder rechtsgescheitelt. Von Säuglingen, die ohnehin zeitlos aussehen, liegt kaum etwas vor. Überlieferte Fotografien von Müttern, denen die Ostsee zum Grab wurde, und den wenigen, die, zumeist ohne ihre Kinder, am Leben blieben, sind lange vor dem Unglück oder viele Jahre danach bei familiären Anlässen »geknipst« worden, wie es bei Mutter heißt, von der es - wie auch von mir als Säugling - kein einziges Foto gibt.
Gleichfalls blieb als Abbild nichts von jenen alten Männern und Frauen, den masurischen Bauern und Bäuerinnen, pensionierten Beamten, heiteren Witwen und Handwerkern in Rente, den tausend vom Schrecken der Flucht verstörten Greisinnen und Greisen, die an Bord durften. Alle Männer mittleren Alters sind bei der Einschiffung am Oxhöft-Kai, weil tauglich für die letzten Volkssturmaufgebote, zurückgewiesen worden. Es fanden sich unter den Geretteten so gut wie kein Hochbetagter, kaum alte Damen. Und kein Bild zeugt von den schwerverwundeten Kurlandkämpfern, die Bett an Bett in der Laube lagen.
Zu den wenigen überlebenden Alten, die gerettet wurden, zählte der Kapitän des Schiffes, der Mittsechziger Petersen. Alle vier Kapitäne standen um einundzwanzig Uhr auf der Brücke und stritten, ob es richtig gewesen sei, auf Petersens Befehl Positionslichter zu setzen, nur weil kurz nach achtzehn Uhr durch Funkspruch ein Minensuchverband auf Gegenkurs gemeldet wurde. Zahn war dagegen. Gleichfalls der Zweite Navigationsoffizier.
Zwar ließ Petersen einige Lampen löschen, doch nicht die Backbord- und Steuerbordlichter. So, inzwischen einzig vom Torpedoboot Löwe als Sicherungsschiff begleitet, hielt das in seiner Höhe und Länge verdunkelte Schiff bei nachlassendem Schneetreiben und gegen schweren Wellengang seinen Kurs und näherte sich der auf allen Seekarten verzeichneten Stolpebank. Der vorausgesagte mittlere Frost bedeutete 18 Grad unter Null.
Es soll der Erste Offizier des sowjetischen U-Bootes S 13 gewesen sein, der ferne Positionslichter sichtete. Wer auch immer Meldung erstattet hat, Marinesko war sofort auf dem Turm des Überwasserfahrt machenden Bootes. Er trug, wie überliefert wurde, zur marineblauen, pelzbesetzten Mütze, der Uschanka, unvorschriftsmäßig nicht den gefütterten Mantel, die Dienstbekleidung der U-Bootoffiziere, sondern hatte sich ein ölverschmiertes Schafsfell umgehängt.
Bei getauchter Lage, während langer Fahrt mit Elektromotoren, waren dem Kapitän nur die Geräusche kleiner Schiffe gemeldet worden. Vor Hela gab er Befehl zum Auftauchen.
Die Dieselmotoren sprangen an. Jetzt erst wurde ein von Zwillingsschrauben angetriebenes Schiff hörbar. Plötzliches Schneetreiben schützte das Boot, nahm aber die Sicht. Als das Wetter sich beruhigte, wurden die Umrisse eines auf zwanzigtausend Tonnen geschätzten Truppentransporters und ein Begleitboot gesichtet. Das geschah von der Seeseite her, mit Blick auf die Steuerbordseite des Transporters und in Richtung pommersche Küste, die zu erahnen
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